Vereinigungsgedanken (Teil 6)
: „Das Rebellentum ist geblieben“

Kay Krug, 41, ist Ostpunk der ersten Stunde. Während 1990 viele seiner Punkerfreunde in den Westen gingen, blieb er dem Osten treu. Dem Punk ebenfalls

Vor 15 Jahren wurde Deutschland wiedervereinigt – so der offizielle Sprachterminus. Viele jubelten, einige trauerten und manche ängstigte, was aus diesem Land werden könnte. Die taz lässt rund um den 3. Oktober Menschen zu Wort kommen, die damals in Berlin waren und die Atmosphäre in der Stadt beschreiben.

„Als ich mit dem Punk angefangen hatte, fand ich die Musik und das Aussehen einfach nur gut. Aber später, als wir ständig von den Bullen mitgenommen wurden, da habe ich schon Hass gekriegt gegen das System. Ich konnte nicht einmal in eine Disko gehen: Kaum waren wir drin, da flogen wir auch schon raus. Das war nach der Vereinigung natürlich anders.

1979 hatte ich zum ersten Mal von Punks gehört. Da war ich 15. Ich glaube, es war in dieser Zeitschrift Neues Leben. Darin fand ich einen langen Bericht. Den fand ich super. Etwas später hörte ich zum ersten Mal die „Sex-Pistols“ und „The Clash“. Mit zwei anderen aus Neuenhagen schnitten wir uns die Haare ab. Dann sind wir zum Alex gefahren und haben die anderen Punks gesehen. Die hatten uns gesagt, wir sollten mal ins PW kommen. Das war damals eine Disko im Plänterwald. Und so bin ich selbst zum Punk geworden.

Doch mit dem Alex war es so eine Sache. Wir haben nur einen Fuß auf den Platz gesetzt, da wurden wir schon mitgenommen. Meist für eine Nacht. Man musste sich die Haare waschen, die Schnürsenkel wurden abgenommen, und nachdem wir ausgenüchtert waren, konnten wir wieder gehen. Anfangs war das ja nicht so schlimm mit der Repression. 1979 wusste der Staat ja noch gar nicht, was wir sind.

In den 80er-Jahren wurde es mit der Verfolgung aber krasser. Wir saßen immer häufiger im Knast. Eigentlich nur, weil wir so punkig aussahen. Wir hatten keine Lust zum Arbeiten und brachen uns selbst die Finger. Auch deswegen wurden wir verhaftet.

Dann fiel die Mauer, und später kam der 3. Oktober. Ich hatte noch ein Berlinverbot, an das ich mich aber nicht gehalten hab. Bis dahin hatten wir uns immer in so einer Kneipe am Nöldner Platz getroffen. Wir waren so 20 bis 30. Auf einmal waren sie alle weg. Alle im Westen.

Ich wollte nie rüber. Selbst zu Ostzeiten nicht. Einmal habe ich den Schritt doch gewagt. Aber da wurde ich gleich angefeindet – wegen der 100 Mark Eröffnungsgeld. Die Westpunks regten sich über uns auf: „Wat wollt ihr denn hier? Kriegt 100 Mark in den Arsch gesteckt.“ Das fand ich schon ziemlich krass. Die meinten das ernst. Neid – so etwas kannten wir im Osten nicht.

Trotzdem ist die deutsche Einheit eine positive Sache. Die DDR war schon ein Unterdrückungsstaat. Auf einmal konnte ich auf Konzerte und in Urlaub fahren. Zu Ostzeiten wollte ich mal nach Bulgarien, durfte dann aber nicht, weil ich mit meinem Aussehen den sozialistischen Staat im Ausland nicht vertreten kann.

Natürlich ist im Westen nicht alles golden. Das wusste ich vorher schon. Das Rebellentum ist bei mir geblieben. Das ist eben das, was Punk ausmacht. Dass man sich nicht anpasst, wenn einen was stört. Deswegen bin ich immer Punk geblieben. Bis heute.“ Protokoll: Felix Lee