Arischer Babyspeck

Von der Wolfsschanze auf die 5th Avenue: In „Veruschka – Inszenierung (m)eines Körpers“ (22.15 Uhr, Arte) erzählt Paul Morrissey leider zu wenig von der Geschichte des ersten deutschen Supermodels

Von Harald Fricke

Auf dem Foto sieht man ein kleines Mädchen mit lockenumflorten Rauschgoldengelsgesicht. Aber die längst erwachsene Frau sagt nur „arischer Babyspeck“, als sie die verwitterte Aufnahme aus dem Off kommentiert. Dann geht es auf einen schnellen Bilderritt zurück in die Nazizeit: Hitler richtet sich auf dem Gut ihrer Eltern die Wolfsschanze ein. Der Vater gehört zu den Attentätern vom 20. Juli 1944 und wird hingerichtet. Die Familie kommt in Sippenhaft, verliert ihr Schloss in den Masuren, wenig später schließt sie sich dem Flüchtlingstreck nach Westen an.

Vera von Lehndorff lebt nicht gerne in Erinnerungen. Obwohl sie auf eine Karriere zurückblicken kann, die sich auch 40 Jahre danach atemberaubend glamourös erzählen lässt: Als Veruschka wurde sie zum Supermodel, bereits 1970 hatte man ihr Gesicht auf 800 Modemagazinen weltweit gesehen. Sie war die Frau im Flitterkleid, die Antonioni mit seinem Film „Blow up“ zur Posterikone der Sixties gemacht hatte; sie war aber auch eine der ersten Frauen, die als Drag King auftrat, 1984 in Ulrike Oettingers „Dorian Grey im Spiegel der Weltpresse“. Ein tolles Leben? Nicht immer: In den Siebzigerjahren verbrachte Veruschka psychisch zerbrochen einige Zeit in Kliniken. Vielleicht, weil sie wegen ihrer hoch aufgeschossenen Figur und dem strengen Blick in den USA als „The Ubermensch“ gefeiert wurde – trotz der prekären deutschen Vergangenheit, die sie stets verfolgte und von der sie nie loskam. Nico war es damals ähnlich ergangen, ihre Flucht aus dem Identitätsschlamassel hieß Heroin.

Paul Morrissey hätte bei seiner Dokumentation „Veruschka – Die Inszenierung (m)eines Körpers“ auf solche Parallelen eingehen müssen. Schließlich hat er schon 1966 mit „Chelsea Girls“ eben jener Nico ein Denkmal gesetzt. Aber Morrissey will vom privaten Albdruck der Geschichte nichts wissen. Für ihn bleibt Veruschka bis heute eine unantastbare Fashion-Göttin, die sich in immer verwegeneren Outfits als unermesslich schönes Gesamtkunstwerk präsentiert: als Big-Hair-Bombe mitten in der Wüste, als Erfinderin von Trash-Couture und als lässige Elder Stateswoman bei einer Mode-Session 2002 in der Bronx.

Dabei erweist sich Morrissey als geschickter Zweitverwerter, der vor allem Archive durchforstet hat. Fotos werden mit original Filmclips gegengeschnitten, zwischendurch dann die trotz ihrer 66 Jahre noch immer makellose Veruschka, die von früher plaudert. Von Dali, der sie mit Rasierschaum zur lebenden Skulptur stilisierte, und von Irving Penn, der sie auf seinen Fotos zum „Beatnik von der Park Avenue“ machte. Erst in der Arbeit mit Holger Trulzsch findet Veruschka zu sich selbst, indem sie durch Ganzkörperbemalung mit der Umgebung verschmilzt. Dass ihr sogar der Staublook der Straße steht, darüber muss sie lachen, und es klingt wie das rauchige Schnarren eines Karl Lagerfeld. So viel Mode muss sein.