Berlin liegt am Meer

STADTPLANUNG Berliner Architekten haben den Blick in die Zukunft gerichtet und sich gefragt: Kann man neue Städte vor den Toren Berlins gründen? Eine Ausstellung des Bunds Deutscher Architekten zeigt Antworten, die nicht immer ganz ernst gemeint sind

„Seaside Berlin“. Mit der Schnellbahn in die Glücksstadt Foto: Stadler Prenn

von Rolf Lautenschläger

Manchmal drängt sich der Eindruck auf, Architekten zeichneten erst dann mutige Pläne, wenn ihre Arbeiten folgenlos bleiben. So lässt sich wohl erklären, dass fast 50 Architekturbüros einer Einladung des Bunds Deutscher Architekten Berlin (BDA) gefolgt sind – und Entwürfe vorgelegt haben, die, würden sie realisiert werden, Berlin und seine Region radikal verändern würden. Etwa mit einer „Urban Wall“, einem Hochhausring entlang des Stadtrings, mit Transrapidbahnen, die zu „New Towns“ in Brandenburg rasen, mit Gartenstädten im nahen Umland, aber auch mit Betongebirgen auf dem Tempelhofer Feld und am BER.

Die BDA-Galerie in Charlottenburg präsentiert jetzt diese Ideen für ein Berliner Metropolis des 21. Jahrhunderts in der Ausstellung „Neustadt Berlin 40/40“. Die Schau setzt die schöne BDA-Reihe „40/40“ fort, in welcher der Architektenbund seine Mitglieder auffordert, auf 40 mal 40 Zentimeter großem Zeichenpapier skizzenhaft, visionär oder kritisch Stellung zu stadtplanerischen Berlin-Themen zu beziehen wie zu den Flughäfen, zur Zentral- und Landesbibliothek (ZLB) oder zum Humboldt-Forum.

L’art pour l’art oder die Fortsetzung der architektonischen Avantgarde der 1920er Jahre, der Moderne und des sozialistischen Städtebaus nach 1950 soll „Neustadt“ nicht sein. Zumindest nicht nur. Berlin sei in den letzten Jahren um 200.000 Einwohner gewachsen und entwickle sich dynamisch, erinnerten Andrew Albers und Armin Behles, Mitkuratoren der BDA-Galerie, zur Eröffnung der Schau. Dies bedeute, nicht nur weiteren Wohnraum zu schaffen, sondern beinhalte auch die Herausforderung, „die Stadt weiterzubauen, wenn die Nachverdichtung an ihre Grenzen kommt“.

Kann man also heute eine neue Stadt gründen, eine Stadt des 21. Jahrhunderts vor den Toren Berlins? Wie sollte man sie entwerfen, und für welche Nutzungen und Nutzer ist sie bestimmt, fragte der BDA die Berliner Architektenschaft.

Weil in Berlin seit Jahrzehnten der „große Plan“, neue Ideen und Zukunftsmodelle im Städtebau nicht en vogue waren, holen nun viele Planer quasi zum Gegenschlag aus – und schießen über das Ziel hinaus. So sieht etwa This Häberlis Neustadt aus, als wäre sie einem grün-alternativen Sciencefiction-Film entsprungen. Häberli umstellt Berlin mit riesigen trichterförmigen Stadttürmen. Deren Etagen sind zwar begrünt und CO2-frei. Mit Urbanität und Stadt haben die Supertürme jedoch nichts zu tun.

Zugleich demonstrieren andere Entwürfe, dass es den Architekten heute nicht nur um „utopische Fluchten aus der Rea­lität“, sondern um ein Bedürfnis geht, den vielschichtigen Kosmos Stadt „wieder neu denken zu wollen“, wie es der Architekt Stefan Kurath in einer Gesprächsrunde ausdrückte. Und dies mit denkbaren Optionen: So entwirft etwa Ludger Brands sieben New Towns am äußeren Berliner Eisenbahnring und vernetzt diese so mit der Stadt.

Auch der Architekt Sebastian Witzke setzt auf dieses Konzept mit seinem Entwurf „Dezen­trale Konzentration“. Er entwickelt entlang der Ausfallstraßen neue Städte und erhält die Natur in den Zwischenräumen. Ganz weit draußen – am Wasser – steht schließlich „Seaside Berlin“ vom Team Stadler/Prenn. Es ist eine mit Schnellzügen erreichbare Glücksstadt; frei nach Tucholskys Satz, dass der Berliner gern „hinten die Friedrichstraße und vorn die Ostsee“ hätte.

Bei so viel Utopie und „So­zial­romantik“, wie die Hochschullehrerin Oda Pälmke kritisch in der Runde anmerkte, tat es dann auch gut zu sehen, dass es Architekten gibt, die die Visionen auf die Schippe nehmen. Annegret Hodels Plan der „unendlichen Stadt“ zeigt diese als Geflecht aus Bienenwaben. Nichts anderes meint Benedikt Esche, wenn er der gewachsenen Stadt ein riesiges Neustadtraster aus Zeilen und Blöcken aus den Zeiten des Berliner Massenwohnungsbaus gegenüberstellt.

Markus Bühler schließlich beantwortet die Frage nach der Neustadt mit einem Foto aus dem Kinderzimmer. Dort hat er eine paradiesische Puppenstube aufgebaut: die Neustadt als Kinderkram. Mehr Ironie gegenüber dem ewigen Architektentraum von Stadtplanung gibt es wohl kaum. Die Skepsis hinsichtlich eines neuen Berliner Metropolis bleibt bestehen.

Die Ausstellung „Berlin Neustadt. 40/40“ ist bis zum 6. April in der BDA Galerie, Mommsenstr. 64 zu sehen. Mo., Mi., Do. 10 bis 15 Uhr. Infos: www.bda-berlin.de