Gekommen, um zu bleiben

Häuserkampf Barbara und Kai Sichtermann schreiben mit „Das ist unser Haus“ über die Hochphase der Hausbesetzungen in den 70ern und 80ern. Das Buch ist ein gelungenes Porträt der Szene in Westdeutschland. Morgen ist die Buchpremiere im Kant Kino

Georg-von-Rauch-Haus im Jahr 1973 Foto: ullstein bild

Als Erstes sieht man barbusige Protestierende auf den Straßen Berlins und liest ein paar Absätze Friedrich Engels – ein guter Einstieg ins Buch, ein guter Einstieg ins Thema Hausbesetzung. Verwackelte Schwarz-Weiß-Aufnahmen von der Tuwat-Demo im Jahr 1981 in Westberlin (die an den Tunix-Kongress im Jahr 1978 anschloss), auf der die Nackerten vor dem „Lauti“ her marschieren, sind abgebildet, und als Präambel kann man direkt darauf Engels’ Annahmen „Zur Wohnungsfrage“ aus dem Jahr 1872 lesen. Sie sind auch 145 Jahre später noch zutreffend.

Die Autorin Barbara Sichtermann sowie Musiker und Autor Kai Sichtermann, Bassist der Ton Steine Scherben, veröffentlichen in diesen Tagen mit „Das ist unser Haus“ ein Überblickswerk zur ersten und zweiten Welle der Hausbesetzungen in den Siebzigern und Achtzigern in Deutschland.

Der Schwerpunkt liegt dabei auf den Besetzerhochburgen Westberlin, Frankfurt am Main, Hamburg und Köln. Dazu gibt es kleine Exkurse und Ausflüge in die Provinz sowie ins benachbarte Ausland und in die DDR, wo vom meist geduldeten „Schwarzwohnen“ berichtet wird. Ebenso von der Besetzerwelle zur Wendezeit.

Die Autoren haben vor allem mit (Ex-)Besetzerinnen und Besetzern, Sympathisantinnen und Sympathisanten gesprochen, so ist ein flott runterzulesendes Oral-History-Buch entstanden. Interviewt werden unter anderem Rauch-Haus-Erstbesetzer Bernhard Käßner, Christine Ziegler (Regenbogenfabrik), der Frankfurter Anwalt Christoph Kremer, Straßenmusiker Klaus der Geiger und Daniel Cohn-Bendit.

Vorangestellt haben die Autoren aber die Frage: Was wollte diese Bewegung überhaupt? Das Beuys’sche Diktum, Kunst in die soziale Lebenspraxis zu überführen, begegnet einem da wenig überraschend; zusammen leben, zusammen arbeiten, zusammen kreieren wollten die Politniks, Freaks, Punks, Trebegänger, Obdachlosen und die der Psychiatrie Entronnenen. Die besetzten Häuser erscheinen so wie ein Sammelbecken von Dropouts.

Es gibt in der Einführung ins Thema hübsche Einladungen zum Weiterdenken, etwa, wenn die Autoren die Besetzer als Wertkonservative darstellen: „Bleiben, ein Verb, wie es konservativer kaum geht, taucht in der Hochphase der Kämpfe während der 1980er Jahre immer wieder auf; unzählige Straßennamen wurden mit dem Zusatz ‚bleibt‘ auf Transparenten und Fotos verewigt.“ Das lässt einen nachdenken, inwieweit auch diese Bewegung bis heute so „geblieben“ ist, wie sie seit jeher war, inwieweit die Formen und Inhalte die gleichen „geblieben“ sind in einer veränderten Welt.

Schlacht am Fraenkelufer

Was die anschließende Betrachtung der Hausbesetzerszenen in Westdeutschland betrifft, so dürfte einem einiges bekannt vorkommen. In Berlin beleuchtet man die frühen Achtziger, als etwa 170 Häuser in der Stadt besetzt waren (von denen zahlreiche legalisiert wurden), als es die sogenannte „Schlacht am Fraen­kelufer“ zwischen Besetzern und Polizei gab und als Hausbesetzer Klaus-Jürgen Rattay im Zuge einer Demonstration überfahren wurde (1981). Die besondere Situation in Frankfurt, wo viele der von den Besetzungen betroffenen Eigentümer jüdisch waren und dies instrumentalisiert wurde, wird ausführlich geschildert. Auch der Kampf um die Hafenstraße von 1982 bis zum Peak 1987 wird nacherzählt.

„Das ist unser Haus“ ist so vor allem für die geeignet, die die Geschichte noch mal nachlesen wollen. Aber auch die, die vertraut mit den Topoi sind, dürfte es nicht langweilen: Es gibt immer wieder Seitenstränge, Anekdotisches, Gedanken der Autoren – oder auch Exkurse zu den Bremer Stadtmusikanten.

„Der geistige Ort,den sie bezogen haben, an demwollen sie bleiben“

Die Autoren über die Besetzer

Dass die Besetzer von damals in ihrem eigenen Slang reden und es in der Schriftsprache so belassen wird, ist gut. Fotos, Abbildungen von „Flugis“ und Ausschnitte aus alternativen, selbst publizierte Zeitschriften vervollständigen das Bild, das man von dieser Zeit bekommt. Gewünscht hätte man sich, dass auch entscheidende Politiker von einst – zum Beispiel Hamburgs damaliger Bürgermeister Klaus von Dohnanyi – zu Wort gekommen wären, wie insgesamt die „andere Seite“.

Als Porträt der damaligen Szene aber funktioniert das Buch gut; und was die Sichtermann-Geschwister über diese Generation feststellen, klingt vorsichtig zuversichtlich: „Nur wenige sind heute müde, die meisten hoffen, dass es weitergeht. Sie wohnen eher selten noch in dem besetzten Haus von einst. Aber der geistige Ort, den sie damals bezogen haben, an dem wollen sie bleiben.“

J ens Uthoff

Barbara Sichtermann, Kai Sichtermann: „Das ist unser Haus. Eine Geschichte der Hausbesetzung“. Aufbau Verlag Berlin 2017, 300 S., 26,95 Euro

Lesung: 21. 2., 20 Uhr, Kant Kino, Kantstr. 54, 7/5 Euro