Unverblümte parlamentarische Selbstbedienung

Baden-Württemberg Der Landtag genehmigt sich eine üppige Altersvorsorge. Doch das könnte gekippt werden – durch eine Volksbeteiligung, die das Parlament 2016 beschlossen hatte

Für eine erneute Debatte reichen etwa 40.000 Stimmen

Proteste kommen vor allem von der Basis aller Parteien

KARLSRUHE taz | Es war eine verdächtig hastige Debatte in der vergangenen Woche im Stuttgarter Landtag. Die Abgeordneten entschieden in eigener Sache, aber Journalistinnen und Journalisten hatten Mühe, Volksvertreter zu finden, die die Rückkehr zur üppigen finanziellen Ausstattung vor Mikrofonen rechtfertigen wollten.

Am Freitag dann beschlossen die Abgeordneten von Grünen, CDU und SPD, künftig ­wählen zu dürfen, ob sie ihre Altersversorgung über privat oder weitaus üppiger über die Pensionskasse der Landesbeamten regeln wollen. Außerdem ­genehmigten sich die Mitglieder des ­baden-württembergischen Landtags höhere Bezüge für ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Nur die Freien Demokraten und die AfD stimmten dagegen.

Ein ziemlich unverblümter Fall von parlamentarischer Selbstbedienung. Denn die Abgeordneten hatten sich vor neun Jahren eine großzügige Diätenerhöhung gewährt, mit dem Argument, dafür künftig selbst die Altersvorsorge in die Hand zu nehmen. Doch heute, bei historisch niedrigen Zinsen dämmerte den Abgeordneten, was auch der Bürger mit seiner Riesterrente zu spüren bekommt: Die private Rente könnte im Alter schmal ausfallen.

Zudem sahen die Abgeordneten im Landtag immer noch sogenannte Altfälle vor sich, die mit ungleich üppigeren Staatspensionen ausgestattet sind. Dies haben die jüngeren Abgeordneten als ungerecht empfunden, heißt es. Auch deshalb sollten künftig alle Abgeordneten zur staatlichen Pension zurückkehren dürfen, bei vollen Bezügen.

Nun ist der Landtag von Baden-Württemberg längst nicht der teuerste. Er kostet anders als etwa das bayerische Parlament jede Bürgerin und jeden Bürger nicht einmal 10 Euro pro Jahr. Doch die Parlamentarier hatten offenbar unterschätzt, wie wenig eine Pensionsabsicherung angesichts von Hartz IV und den bröckelnden Renten in die heutige Zeit passt. Und so wurden sie von den Protesten an der Basis fast aller Parteien überrascht.

Ausgerechnet eine neu eingeführte Form der Bürgerbeteiligung könnte die Selbstbedienung jetzt noch stoppen. SPD und Grüne hatten 2016 unter dem Eindruck der Debatte um das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 den sogenannten Volksantrag eingeführt. Er sieht vor, dass der Landtag von den Bürgerinnen und Bürgern zu einer Debatte um ein bestimmtes Thema gezwungen werden kann. Voraussetzung dafür ist, dass sich 0,5 Prozent der Wahlberechtigten per Unterschrift dafür aussprechen.

Für eine erneute Debatte über die Altersvorsorge reichen derzeit also etwa 40.000 Stimmen. Nach der Stimmung im Lande und an der Basis der Parteien zu urteilen, dürfte das keine Hürde sein. Via Facebook und Twitter verabreden sich bereits jetzt schon Bürgerinnen und Bürger sowie Mitglieder verschiedener Parteien zur Unterschriftensammlung.

Allein die Drohung, dass die Bevölkerung die Abgeordneten via Volksantrag zum Rapport zwingen könnte, zeigt erste Wirkung. Als Erste ging die Landes-SPD auf Distanz zu der Pensionsregelung, die mit Zustimmung auch ihrer Abgeordneten gerade erst beschlossen worden war. „Ich hätte das so nicht gemacht“, sagte die SPD-Landeschefin Leni Breymaier am vergangenen Wochenende. Sie fürchtet offenbar, mit solchen Beschlüssen das Stimmungshoch der Partei zu gefährden.

CDU und Grüne zögern noch mit Reaktionen. Schließlich macht ein Rückzieher keinen guten Eindruck. Andererseits kann der kaum noch schlechter werden. Benno Stieber