Was bisher geschah: Die Verführkraft der Bombe
Es sind eindrückliche Bilder während der internationalen Premiere des US-Experimentalfilms „The Bomb“: Rauchpilze nach einem Atombombenabwurf in Slow Motion, der totale Gleichmarsch bei Militärparaden in Nordkorea. Dazu Archivmaterial der Abwürfe über Nagasaki und Hiroshima 1945. Unterlegt wurden die Sequenzen am Freitag im Haus der Berliner Festspiele von Minimal Music, Technoidem, Dreampop: Die US-Band The Acid spielt den Soundtrack live.
Extrem dringlich, extrem fordernd kommt „The Bomb“ also von seinem Anspruch daher, und seine Genese ist durchaus spannend: Autor Eric Schlosser, der mit dem Sachbuch „Command and Control“ die Gegenwart US-amerikanischer Atomwaffenprogramme seziert, entwickelte mit Regisseurin Smriti Keshari und Regisseur Kevin Ford ein einstündiges Werk mit vielen Cuts, mit übereinandergeschnittenen Bildern.
Nach dem Film erklärt Schlosser in einer Gesprächsrunde, man wolle „auf die anhaltende Bedrohung dieser tödlichen Apparate aufmerksam machen“. Er wirbt für eine Renaissance des zivilgesellschaftlichen Engagements gegen Atomwaffen in Zeiten von Trump und Putin – „one man has that power“, sagt er noch. Schlosser verweist auf Obama, der im Mai 2016 bei einem Besuch in Hiroshima eine „Welt ohne Atomwaffen“ als Lehre aus 1945 forderte.
Die politische Forderung Schlossers ist so luzide, dass man sich fragt, ob die filmische Umsetzung des Themas gelungen ist. Moderator Louis Klamroth sprach Regisseur Kevin Ford gegen Ende auf die Ästhetik der Bilder an – auf ihn hätten viele Aufnahmen „schön“ gewirkt. „Es liegt etwas Verführerisches in diesen Bildern“, antwortete Ford, man habe sie kontrastieren wollen mit den drastischen Archivszenen. In „The Bomb“ aber bleiben eindrückliche Bilder einfach eindrückliche Bilder – auf sie folgt nichts. Dazu kommen Probleme in der Materialauswahl: Viele Szenen – etwa die der „Duck and Cover“-Kampagne des US-Zivilschutzes – sind bekannt. Und auch bei den Bildern von nordkoreanischen Militärparaden hat man den Eindruck, dass das Thema zu weit und willkürlich gefasst ist. Mit dem Überdruss an „bösen Bildern“, mit den veränderten Sehgewohnheiten im digitalen Zeitalter setzt „The Bomb“ sich dagegen nicht auseinander. Auch der Soundtrack von The Acid – von einfachen Beats bis zu sphärischen Klängen – hätte herausfordernder sein können.
Wäre man wirklich als „Verführter“ gegangen, dann hätte „The Bomb“ sein Ziel erreicht. Dafür aber hätte er radikaler sein müssen. Für einen wirklichen Schock blieb die Inszenierung dagegen zu harmlos.
Jens Uthoff
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