Der Geist von Casablanca

Teppiche Die ifa-Galerie erinnert an einen unterschätzten Dialog über die Moderne – gewebt aus Farben

Gewebt von Ida Kerkovius, 1927 und anonym, mittlerer Atlas um 1940 Fotos: ifa-Galerie

Ein rotes und ein gelbes Rechteck auf schwarzem Grund, flankiert von zwei weißen Quadraten, das Ganze durchkreuzt von weißen und blauen Diagonalen. Auf den ersten Blick hält man die titellose Arbeit an der Wand für ein klassisches Bauhaus-Bild, so wie sie mit Horizontale und Vertikale spielt. Wer näher herantritt, bemerkt: Es handelt es sich um einen Teppich.

Das Werk stammt von Yto Barrada. Dazu inspirieren lassen hat sich die französisch-marokkanische Künstlerin, Jahrgang 1971, von der Bauhaus-Künstlerin Sophie Taeuber-Arp, Jahrgang 1889. Entstanden ist das Stück vor zwei Jahren im Webereiatelier des Frauen- und Jugendzentrums Darna in Tanger.

Barrada, 2011 „Artist of the Year“ der Deutschen Bank Kunstsammlung, nimmt damit ein weiteres Vorbild auf: das der amerikanischen Künstlerin Sheila Hicks. Die 1943 in Nebraska geborene Pionierin der Textilkunst, Schülerin des Bauhäuslers Josef Albers, folgte Anfang der 1970er-Jahre einer Einladung der Regierung nach Marokko. Um zu helfen, die Traditionen des Landes zu revitalisieren, arbeitete Hicks dort mit Weberinnen zusammen. Auf sie geht die „School of Casablanca“ zurück, die sich ab 1973 an der dortigen Kunsthochschule formierte – ein künstlerischer und intellektueller Aufbruch.

Die Textilkunst war lange als dekoratives Handwerk abgetan. Wie kongenial Hicks ihr Ziel erreichte, dieser Technik mehr Anerkennung zu verschaffen, lässt sich an einer Arbeit von 1972 in Marokko erkennen. Die bunt abgebundenen Wollbündel, die aus dem ockerfarbenen „Gebetsteppich“ herausragen, entgrenzen dessen Oberfläche, geben ihm Bewegung und Volumen.

Das späte Echo ihrer Kunst kann man in einem Werk wie „Feuer im Ozean“ sehen. Mit einem Teppich im klassischen Sinne hat die Arbeit des marokkanischen Künstlers Mostafa Maftah von 1979 nicht mehr viel zu tun. Das wilde rote Wollknäuel, das aus einem rhythmisch bewegten, blauen Linienbündel emporsteigt, erinnert mehr an das Bild eines Lavastroms, kurz vor dem Ausbruch.

„Wir wollten Rahmen ­sprengen“

Kein Wunder, studierte Maftah doch zu der Zeit an der Kunstakademie in Casablanca: „1979 durchlebten wir eine hitzige Zeit, das heißt, sie war revolutionär, explosiv. Wir wollten Rahmen sprengen, eine Freiheit des Denkens erlangen und zu einem gewissen kindheitsnahen Naturzustand zurückkommen“, erinnert er sich. Politische und ästhetische Befreiung gingen damals Hand in Hand: Ein „Objekt von Farbe“ nennt Maftah seinen „Teppich“ deshalb konsequent.

Der interessanten Ausstellung geht es nicht um eine systematische Kulturgeschichte des Teppichs. Auch wenn sie Arbeiten weiterer Bauhaus-Künstler präsentiert. Die Entwürfe abstrakter Teppiche von Gunta Stözl oder Anni Albers etwa vom Beginn der Zwanzigerjahre. Mit klug ausgewählten Einzelbeispielen erinnern die Kuratorinnen Salma Lahlou, Mouna Mekour und Alya Sebti vielmehr an den – aus dem Osten stammenden – Teppich als Medium der europäischen Kunst. Eine Faszination, die in Europa spätestens mit Hugo von Tschudis Ausstellung „Meisterwerke Muhammdeanischer Kunst“ 1910 in München begann.

Vor allem arbeiten sie die Ähnlichkeiten zwischen der modernistischen Formensprache und den indigenen Traditionen heraus. Es frappiert schon, wie die „verrückten Teppiche“ der Azilai oder der Beni Quarain, zweier Bauernstämme aus dem Atlasgebirge abstrakten Bauhaus-Mustern ähneln: halbabstrakte Zufallsmuster oder unendlich sich wiederholende, schwarze Rautenmuster auf weißem Grund.

Von hier führt ein Weg zu den Teppichen des französischen Künstlers Saâdane Afif. Während der Marrakesch-Biennale gab der Berliner Künstler auf dem Marktplatz eine öffentliche Geometriestunde. Die dabei entstandenen Zeichnungen übertrug er, zusammen mit lokalen Webern, auf einen von Berberteppichen inspiriertes Stück – noch ein Echo auf die Öffnungspolitik der „Schule von Casablanca“ vierzig Jahre früher.

Mit solchen Zwiesprachen entsteht das faszinierende Bild eines ästhetischen Dialogs. Scheinbare Essentials der West-Moderne: Gegenstandslosigkeit, die Entgrenzung des Bildraumes, das Streben ins Dreidimensionale verdanken sich auch der Auseinandersetzung westlicher Künstler mit dem „Handwerk“ des Vorderen Orients.

So gesehen wird der Teppich zur Metapher – für eine untrennbaren Verflechtung der Codes, Techniken und Akteure. Wer jetzt einen Kulturkampf zwischen Muslimen und Abendland herbeireden will, zieht sich gleichsam selbst den Teppich unter den Füßen weg.

Ingo Arend

In the carpet. ifa-Galerie Berlin, Di.–So. 14–18 Uhr bis 12. März. Katalog, 15 Euro