Die Angst der Afghanen

Abschiebung Sami Mousavi musste seine Heimat schon als Kind verlassen. Über Umwege kam er nach Deutschland. Nun soll der 31-Jährige in ein Land zurück, das ihm fremd ist – nach Afghanistan. Eine typische Lebensgeschichte für afghanische Flüchtlinge

Schon im Dezember letztens Jahres demonstrierten rund 1.500 Menschen in Berlin gegen Abschiebungen nach Afghanistan und für ein Bleiberecht Foto: Christian Mang

von Marina Mai

Sami Mousavi hat Angst. Die hatte der 31-jährige Afghane schon, als das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) im Herbst seinen Asylantrag ablehnte. Die Angst ist unerträglich, seit die Berliner Ausländerbehörde Mitte Januar seinen Ausweis einzog und ihm eine Unterschrift abnötigen wollte, damit er freiwillig ausreist – nach Afghanistan. Mousavi der eigentlich anders heißt, aber seinen richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen will, hat nicht unterschrieben und die Behörde fluchtartig verlassen. Nachts kann er seitdem nicht mehr schlafen.

Mousavi ist als Kind mit seinen Eltern aus Afghanistan geflohen und hat die Hälfte seiner Kindheit im benachbarten Iran verbracht. Dort wird seine Sprache, Farsi, gesprochen. Aber dort gelten die vielen Flüchtlinge aus Afghanistan als der letzte Dreck, berichtet er.

Im Iran war ein Schulbesuch nicht mehr möglich, Mousavi musste arbeiten, um nicht zu verhungern. So ergriff er als 18-jähriger die Chance, nach Griechenland zu gehen, und heuerte auf einem Passagierschiff als Kellner an, konnte dort seinen Lebensunterhalt verdienen.

Mit der griechischen Wirtschaftskrise änderte sich alles. Mousavi verlor Arbeit und Wohnung. Griechische Rechtsextremisten schlugen ihn zusammen, wie er erzählt. Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus floh er vor vier Jahren weiter nach Deutschland. Hier lernte der alleinstehende Mann Deutsch.

Seine Bewerbungen auf einen Ausbildungsplatz scheiterten immer wieder, weil er mit 31 Jahren dafür ein wenig zu alt ist. Aber auch, weil er als Afghane zu vielen Integrationsprogrammen für Asylbewerber, die einer Ausbildung vorgeschaltet sind, keinen Zugang hat. Nach dem Willen der Behörden soll er jetzt in das Land zurückkehren, das er als Neunjähriger verlassen hat. Mousavis Eltern leben inzwischen nicht mehr.

Zahlreiche Organisationen, Initiativen und Aktivist*innen aus zehn Bundesländern protestieren am Samstag, dem 11. Februar, gegen Abschiebungen nach Afghanistan. In Berlin ruft das "Bündnis gegen Abschiebungen nach Afghanistan" zu einer Demonstration auf. Auftakt ist um 13 Uhr am Brandenburger Tor, von dort am Roten Rathaus und der Innenverwaltung vorbei bis zum Alexanderplatz.

Im Dezember hatten sich an einer ersten Demonstration des Berliner Bündnisses gegen Abschiebungen nach Afghanistan über 3.000 Menschen beteiligt. Dem Bündnis gehören unter anderem der Berliner Flüchtlingsrat, das Afghanische Kommunikations- und Kulturzentrum, der Verein iranischer Flüchtlinge in Berlin, die Flüchtlingsfrauengruppe Women in Exile und die Oplatznet Media Group an. (sum)

„Der Fall Mousavi steht für viele afghanische Mandanten, die ich vertrete“, sagt Christopher Lingnau. Der Anwalt spricht Farsi und wird darum vor allem von Afghanen um Hilfe in Asylverfahren gebeten. „Mir ist zwar noch kein Fall eines Afghanen aus Berlin bekannt, der tatsächlich abgeschoben wurde, aber die Behörden schüren Angst und drängen die Flüchtlinge zur freiwilligen Ausreise.“

Lingnau weiß, dass viele Afghanen vom BAMF kein Asyl bekommen. Rund 40 Prozent aller Asylanträge von Afghanen wurden 2016 abgelehnt. „Klagen sie, stehen die Chancen vor dem Verwaltungsgericht hingegen nicht schlecht. Aber so ein Verfahren dauert Jahre. In der Zeit werden die Menschen zermürbt und vor allem: Sie erhalten kaum Zugang zu Integrationsangeboten, von Arbeitsstellen ganz zu schweigen.“

Auch mit seiner Lebensgeschichte sei Mousavi typisch für afghanische Flüchtlinge in Berlin, fährt Lingnau fort. „Manche haben nie in Afghanistan gelebt. Andere haben das Land als Kleinkind mit den Familien verlassen und sind im Iran oder in Pakistan aufgewachsen. Da ist es schwer, eine politische Verfolgung zu begründen.“ Auf der anderen Seite haben sie aber keinerlei Wurzeln in Afghanistan. – Abschiebungen nach Afghanistan sind ein Thema, das derzeit politisch kontrovers diskutiert wird. Der Bund will abgelehnte afghanische Asylbewerber loswerden und verweist darauf, dass es innerhalb des Landes Regionen gäbe, die sicher seien.

Seit letztem November, so hat es der Verein Asyl in der Kirche beobachtet, lehnt das BAMF Asylbegehren von Afghanen deutlich häufiger ab als zuvor. „Ich kenne Afghanen, die gemeinsam geflüchtet sind. Der eine hat vor einem Jahr einen Schutzstatus bekommen. Der andere hatte erst jetzt seine Anhörung und soll ausreisen“, sagt Dieter Ziebarth vom Verein. „Inhaltlich ist das nicht zu erklären. Einzig die Politik des BAMF hat sich geändert.“

Auch die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl kritisiert den Bund. „Aufgrund der sich ständig ändernden Sicherheitslage kann man gar nicht zwischen sicheren und unsicheren Regio­nen in dem Bürgerkriegsland entscheiden“, schreibt die Organisation und beruft sich dabei auf keinen Geringeren als das UN-Flüchtlingswerk UNHCR. Das sagt, ganz Afghanistan befinde sich in einem „innerstaatlichen bewaffneten Konflikt“. In immer mehr Bundesländern sieht man das inzwischen ähnlich: Schleswig-Holstein, Bremen, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz wollen nach Afghanistan nur noch Straftäter abschieben.

Die Ausländerbehörde zog seinen Ausweis ein, nachts kann er nicht schlafen

Auch der neue rot-rot-grüne Senat in Berlin handhabt das so. Martin Pallgen, Sprecher von Innensenator Andreas Geisel (SPD), erklärte der taz, ein genereller Abschiebestopp sei nicht geplant, da man sich vorbehalten wolle, Straftäter in Richtung Afghanistan auszuweisen. Gleichzeitig sagte er, man sehe Abschiebungen dorthin wegen der Sicherheitslage durchaus kritisch – aber derzeit stünden solche aus Berlin nicht an. Auch im vorigen Jahr habe es keine Abschiebungen nach Afghanistan gegeben, es seien nur 23 Afghanen in andere EU-Länder verbracht worden.

Tatsächlich steht im Koalitionsvertrag, dass es keine Abschiebungen in Regionen geben soll, wo dies aus humanitären Gründen untragbar ist. Straftäter dorthin abzuschieben sei daher in der Tat ein Widerspruch, sagt die grüne Abgeordnete Canan Bayram. Andererseits gebe es gesetzliche Vorgaben, nach denen ab einem gewissen Strafmaß ausgewiesen werden muss. „Das Land Berlin kann daher nicht in allen Fällen Schutz gewährleisten“, so Bayram.

In Mousavi Wohnheimzimmer hängen zwei Deutschlandfahnen. Eine steht für die Fußballnationalschaft, die er in jedem Länderspiel kräftig anfeuert. Die zweite steht für Angela Merkel. Auf ihr ruhen seine Hoffnungen für ein Bleiberecht.