Die Katze im Überwachungsstaat

Kunst „Alien Matter“ heißt die Begleitausstellung der diesjährigen Transmediale. Sie nimmt die von Menschen gemachte und sich selbst organisierende Materie in den Blick – bis hin zu Kuratoren-Bots

Pinar Yoldas, „Artificial Intelligence for Governance, the Kitty AI, 2016“, Courtesy the artist and Röda Sten Konsthall, Göteborg Foto: Hendrik Zeitler

von Tom Mustroph

Von rauchendem Internet über Kuratoren-Bots bis hin zu einer niedlichen Überwachungskatze reicht die Palette der künstlerischen Positionen in der Ausstellung „Alien Matter“. Hauptthema ist die Materialität künstlicher Intelligenzen und die Art und Weise, in der Technologie immer weniger sichtbar wird und zunehmend mit Substanzen und Materialien verschmilzt. Es geht um einen von Algorithmen gesteuerten Alltag der Gegenwart und der nahen Zukunft.

Ausgangspunkt von Kuratorin Inke Arns sind dabei zwei schon länger zurückliegende Ereignisse. Zum einen die Großausstellung „Les Immateriaux“, mit der der französische Philosoph Jean-François Lyotard 1985 eine ganze Etage im Pariser Centre Pompidou bespielte und in der er bereits Spekulationen über die Rolle von Algorithmen und kybernetischen Materialien wie etwa künstlicher Haut anstellte. Zweiter Referenzpunkt ist der sechs Jahre später herausgekommene Film „Terminator 2“. Arnold Schwarzenegger jagt dabei als Terminator des Typs T-800 ein Exemplar der neueren Serie T-1000, das sich in flüssiges Metall auflösen und wieder neu zusammensetzen kann. Diese Fähigkeit zur Auflösung und des Annehmens aller möglichen Formen in den Aggregatzuständen von flüssig bis fest ist für Arns denn auch Charakteristikum von „alien matter“.

Gallium wirkt zersetzend

Eine nicht ganz so intelligente Version davon, die aber immerhin im vergangenen Jahr auf dem Kurfürstendamm für gehörigen medialen Widerhall sorgte, hat es auch in die Ausstellung geschafft: das Metall Gallium. Die silbrig glänzende Substanz ist zu sehen, wie sie Smartphones und Tablet-Computer zersetzt und ihnen eine neue hybride Gestalt verleiht. Der Künstler Johannes Paul Rae­ther ließ beim Festival „Foreign Affairs“ 2016 als „Hexe Protektorama“ Gallium in den Berliner Apple Store auf Geräte und Interieur tropfen. Das Metall verflüssigt sich bei Körpertemperatur und reagiert stark auf Aluminium. Die Polizei rückte damals übrigens an, der Store musste temporär schließen. In „Alien Matter“ kann man jetzt Kompositionen aus Gallium und Smartphones betrachten und in Audiofiles die damalige Aktion nachhören.

Eine ganz andere Material­transformation nimmt der niederländische Künstler Jeroen van Loon vor. Aus Glasröhren empfand er die Struktur des aus Unterseekabeln komponierten Internets nach. Anstelle elektrischer Signale, die für das menschliche Auge nicht sichtbar durch die Originalkabel strömen, raucht und qualmt es in van Loons Röhren. „Die Namen der Kabel werden dabei in Sequenzen aus Nullen und Einsen mit dem Rauch gesendet. Eine 1 bedeutet Rauch, eine 0 eine Pause“, erzählt van Loon. Seine Installation ist zudem ein Ausblick auf ephemere Datennetze. Van Loon hofft auf ein Internet, in dem die Daten nicht mehr gespeichert werden, sondern flüchtig sind, ähnlich wie aktuell schon bei Snapchat.

Eine 1 bedeutet Rauch, eine 0 eine Pause

Die physische Basis des Internets ist materielle Grundlage für Evan Roths Skulptur „Burial Ceremony“. In Form einer liegenden Acht legte Roth Glasfaserkabel aus; so werden die Kabel auch vor dem eigentlichen Verlegen entrollt, um Torsionen der Fasern zu vermeiden. Kabellos hingegen kommunizieren drei Staubsauger-Roboter, die von Addie Wagenknecht so präpariert wurden, dass sie auf in der Nähe befindliche Mobiltelefone, Laptops und Wifi-Router reagieren und einen Bot-Tanz vollführen.

Pinar Yoldas’ Videoinstallation „Artificial Intelligence for Governance“ thematisiert dagegen, welche Inhalte willentlich in Datennetzen transportiert werden. Die Künstlerin lässt eine künstliche Intelligenz in der Verkörperung einer Katze über den Überwachungsstaat im Jahre 2039 berichten, zehn Jahre nach der filmischen Reaktivierung von Terminator T-800 also.

Ihre eigene Zukunft, präziser gesagt: das Ende ihrer eigenen beruflichen Perspektive, hat Kuratorin Arns ebenfalls in die Ausstellung integriert: den Kuratoren-Bot „Predictive Art Bot“. Der Alghorithmus produziert Voraussagen auf künstlerische Trends, die mehrfach täglich über Twitter verbreitet werden (@predartbot). Aktuell immerhin hat Arns noch keine Angst, von solchen Bots verdrängt zu werden. „Die Algorithmen sind momentan noch nicht so weit. Sie schlagen im Grunde nur immer mehr vom Gleichen vor, nach dem Modus: Kunden, die dies gekauft haben, haben auch das gekauft‘“, sagt sie abschätzig. Immerhin, auf dem Entscheidungsniveau vieler Sammler zeitgenössischer Kunst agieren die Bots bereits.

„Alien Matter“, bis 5. März, Haus der Kulturen der Welt