Auf Hochdeutsch in Hamburg Viagra empfehlen

Krimi In „Neben der Spur“ (20.15 Uhr, ZDF, ) brilliert Ulrich Noethen als selbstgefälliger Psychiater

Was ist die bemerkenswerteste Hamburger Begebenheit der jüngeren Vergangenheit? Ja, okay: wie da aus einem Bau­skandal quasi über Nacht die liebreizende „Elphi“ wurde. Aber gleich danach kommt die Personalpolitik der Hamburger Polizei – im Fernsehen jedenfalls.

Das ZDF besetzt seine Hamburger TV-Ermittler seit einiger Zeit konsequent mit Österreichern. In gleich zwei Krimis schickte Lars Becker das Duo Fritz Karl (geboren in Gmunden, Oberösterreich) und Nicholas Ofczarek (Wien) in den Kampf gegen die Unterwelt und mit sich selbst. Die Frau an Ofczareks Seite gab Birgit Minichmayr (Linz, Oberösterreich). Und in den „Neben der Spur“-Filmen spielt Juergen Maurer (Klagenfurt, Kärnten) den bärbeißigen Kommissar unter der Aufsicht einer hanseatisch gestrengen Vorgesetzten, dargestellt von Michaela Rosen (Wien). Die haben natürlich alle an 1-a-Schauspielschulen eine Sprecherziehung erfahren, können alle dia­lektbereinigtes Hochdeutsch sprechen. Und trotzdem hört es, wer genau hinhört und es hören will. Und außerdem ist Hochdeutsch nicht Missingsch.

Warum hat das deutsche Fernsehen so ein Dialektpro­blem? Ist die Angst vor den synchronisierten Schweizer „Tatorten“ wirklich so groß? Dem Kölner Millowitsch-Theater – dessen Mundartstücke einmal zur Prime­time im Fernsehen liefen, Einschaltquote bis zu 88 Prozent – geht es derweil schlecht. Der einst angesehene Typus des dialektstarken Volksschauspielers mit seiner Repräsentanz des Lokalkolorits fristet ein erbärmliches Schattendasein im dritten Programm des Bayerischen Rundfunks und im Vorabendregionalkrimi. Dabei müsste doch der Krimi als TV-Mainstream-Genre unsrer Zeit das natürliche Habitat des Volksschauspielers sein. Wohin so ein Denken führen kann, sieht man im Vorabendregionalkrimi.

Für einen anständigen Prime­time-Krimi bedarf es stattdessen heute schon eines Großschauspielers wie etwa Ulrich Noethen. Der ist so fernsehpräsent wie wenige und spielt wirklich alles weg: ob Historien­drama oder Kinderfilm; ob Generalmajor oder Generalstaatsanwalt; ob den Vater von Udo Jürgens oder den von Anne Frank. Als Großschauspieler verkörpert er gewissermaßen die Antithese des Volksschauspielers, wie ihn die Volksschauspielerin Erni Singerl beschrieben hat, nämlich als „Darsteller, der nicht spielen muss, sondern bei dem die Handlung aus dem Bauch heraus kommt.“

Noethen und der Dialekt

Dass Ulrich Noethen einer ist, der sich seine Kunst erarbeitet, zeigt sein Umgang mit dem ­Dialekt. Ende 2016 konnte man ihn innerhalb von zehn Tagen als kungelnden Münchner („Polizeiruf 110: Sumpfgebiete“) und als malochenden Rheinländer („Aufbruch“) sehen. Im vierten Film der überdurchschnittlich guten Krimireihe „Neben der Spur“ („Dein Wille geschehe“, Regie: Anno Saul; Buch: Mathias Klaschka) spricht er Hochdeutsch.

Ronald Zehrfeld als Afghanistanveteran (ergo Psychopath) manipuliert und ermordet alleinerziehende Mütter (und ehemalige Schulfreundinnen), damit seine Ex ihn wieder mit seiner kleinen Tochter sprechen lässt. Mehr will er gar nicht. Dass die Frauen ihm tatsächlich alle sofort auf den Leim gehen, ist ein bisschen schwer zu glauben, aber egal.

Ulrich Noethen brilliert als selbstgefälliger Psychiater. Beste Szene: Er begleitet seine Frau zur noblen Party bei ihrem Chef, den er für übergriffig hält, und blamiert sich stilvollendet: „Sie wollen mit meiner Frau schlafen. Vielleicht haben Sie’s ja schon getan. […] Mir fallen Kleinigkeiten an Menschen auf, Dirk. An Ihnen zum Beispiel: Ihre Fingernägel sind flach und gelblich. Ein Symp­tom von Eisenmangel. Vielleicht ein Problem mit den Nieren? Ich an Ihrer Stelle wäre ein bisschen sparsamer mit dem Viagra.“ Und dann tritt in einer hübschen Luftaufnahme sogar noch die „Elphi“ auf. Jens Müller