Lost Island

Buchtipp

Zwei Männer aus Benares fahren in die Stadt. Sie suchen zwei Frauen für eine Nacht. Benares liegt in Indien, aber auch Mauritius hat ein Benares, wo im 19. Jahrhundert indische Landarbeiter angesiedelt wurden, um in den Zuckerrohrplantagen der britischen Kolonialherren zu arbeiten. Längst haben die Zuckerrohrplantagen an Bedeutung verloren, „Viele sind aus Benares weggegangen, um anderswo Arbeit zu suchen … Ich habe die Hände in die Taschen gesteckt und bin den ganzen Tag durchs Dorf gelaufen, wochen- sogar monatelang … Wir warteten darauf, dass jemand von der Regierung käme und uns helfen würde, Arbeit zu finden, oder die Besitzer zur Vernunft brächte. Wir haben einige Zeit gebraucht, um zu begreifen, dass niemand kommen würde.“ Der Roman von Barlen Pyamootoo „Benares“, eigentlich eine Kurzgeschichte, skizziert ein Porträt der Insel, die heute auf Tourismus setzt.

Einer Insel, wo die Straße einem Wartesaal gleicht, das Grau der tief hängenden Wolken die Landschaft einfärbt und junge Frauen im Hafen auf Freier warten. „ ‚Wie alt bist du?‘, habe ich sie gefragt. ‚Noch nicht zwanzig?‘ Sofort hat sie meinen Arm losgelassen und eine Schmollmund gezogen. ‚Natürlich nicht‘, dann hat sie mit Siegermiene die Achseln gezuckt: ‚Sechzehn, mehr nicht.‘“

Mauritius mit seiner zusammengewürfelten Gesellschaft aus Indern, Afrikanern, Chinesen und wenigen besitzenden Weißen ist ein typisches Produkt der Kolonialzeit. „Bevor ich die Touristen kennen lernte, habe ich gedacht, alle Weißen seien böse“, erzählt der Taxifahrer Jimmy. „Benares“ ist ein spröde Geschichte, handlungsarm und einfach wie das Leben auf der Insel. Doch sie skizziert eindrücklich das Lebensgefühl: ein Hineingeworfensein in eine triste Vergangenheit, die sich aber angesichts der ärmlichen Gegenwart schon wieder verklärt. Lost Island. „Benares“ lässt den Leser etwas ratlos und traurig in der Tropennacht stehen. Erfährt man doch nicht einmal, ob es für die Protagonisten, die sich auf der Fahrt über die Insel immer näher kommen, eine gelungene Nacht wird. Das Buch gehört unbedingt ins Reisegepäck nach Mauritius. EDITH KRESTA

Barlen Pyamootoo: „Benares“. Kunstmann Verlag 2004, 78 Seiten, 12,50 €