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die taz vor 14 jahren über bremer notgeburten:

Alle vier Jahre wieder waren die oppositionellen Parteien in der bremischen Landespolitik gegen die absolute Mehrheit der SPD und die „Arroganz“ ihrer Macht angerannt – die an der Weser recht unbedeutende CDU genauso wie die Grünen, die in der liberalen Hansestadt als „Bremer Grüne Liste“ 1979 die ersten Abgeordneten in einem bundesdeutschen Landtag wurden.

Der katastrophale Einbruch der seit 20 Jahren allein regierenden SPD, kann eher als demokratische Normalität verbucht werden. Zu lange hat die politische Nestwärme ohne die Korrektur einer räumlich entfernten Landespolitik den Stadtstaat regiert. Das Argument vom „Filz“, den Sozialdemokraten jahrelang um die Ohren geschlagen, ist beim Wähler angekommen. Als Nachfolger des populären Bürgermeisters Hans Koschnick hatte die SPD den etwas kontaktscheuen Aufsteiger Klaus Wedemeier aufgebaut. Die SPD-Wähler haben ihm beim ersten Mal (1987) noch aus alter Anhänglichkeit die absolute Mehrheit gegeben, nach sechs Jahren Regierungszeit werden seine Schwächen aber nicht mehr akzeptiert. Wedemeier war 1985 mit dem Anspruch angetreten, die Finanzpolitik des verschuldeten Bundeslandes mit starker Hand in Ordnung zu bringen. Die Erfolgsbilanz sieht mäßig aus.

Die rot-grüne Koalition, auf die es nach Lage der Dinge hinauslaufen muß – rein numerisch wäre nur eine große Koalition mit der CDU die Alternative –, tritt in einer denkbar ungünstigen Lage an. Sie hat nur eine gesellschaftliche Minderheit in der Stadt hinter sich, dafür die rechtsextreme Partei und den gestärkten „bürgerlichen“ Block aus CDU und FDP gegen sich. Und kosten darf die ökologische Erneuerung auch nichts – die Landeskassen sind mit 15 Milliarden Schulden angefüllt, deren Tilgungsrate in der Höhe der Neuverschuldung liegt. Kein hoffnungsvoller Aufbruch also, sondern eine Notgeburt. Keine guten Aussichten für Rot-Grün.

KLAUS WOLSCHNER,

taz vom 1. 10. 1991

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