„Die Syrer haben schnell eine Wohnung“

Obdach Ein Viertel der Bewohner im Erstaufnahmeheim Forckenbeckstraße sind inzwischen syrische Flüchtlinge. Sie gehören zu den „fitten Leuten“, erzählt Heimleiter Ostermann. Sie stehen – anders als viele deutsche Wohnungslose – schnell auf eigenen Füßen

In der Erstaufnahme für Wohnungslose Forckenbeckstraße leben 109 Menschen, davon sind die Hälfte alleinstehende Männer, die andere Hälfte Familien. Rund 25 Prozent der BewohnerInnen sind Syrer, 20 Prozent Roma, der Rest vor allem Deutsche. Betreiber ist die Gesellschaft für betreutes Wohnen, die berlinweit vier Heime für Wohnungslose betreibt, davon zwei nur für Frauen. Auch in dem zweiten „gemischten“ Heim leben laut Träger „viele“ Syrer. Wie viele Flüchtlinge respektive Syrer insgesamt in Wohnungslosenheimen leben, ist nicht bekannt.

Ohnehin weiß niemand genau, wie viele Wohnungslose es gibt. Gezählt werden diejenigen, die staatliche Hilfen in Anspruch nehmen. Das waren in 2015 zum einen rund 4.500 Menschen, die auf Antrag persönliche Hilfen zur Überwindung „besonderer sozialer Schwierigkeiten gemäß § 67 SGB XII“ finanziert bekommen. Dazu u. a. zählen auch betreute Wohngruppen.

Dazu kamen in 2015 rund 17.000 Menschen (ca. 10.000 Haushalte), die von den Bezirken untergebracht wurden. Im Vergleich zum Vorjahr waren das 7.000 Menschen mehr – was die Sozialverwaltung auf die vielen neuen Flüchtlinge zurückführt. Denn wenn Asylbewerber ihre Anerkennung bekommen, aber mangels Wohnung weiter im Flüchtlingsheim wohnen, werden sie zu den Wohnungslosen dazugezählt.

Rechtsgrundlage für die Unterbringung von Wohnungslosen ist das Allgemeine Sicherheits- und Ordnungsgesetz, nach dem jedermann/-frau ein Recht auf Unterbringung hat. Zuständig für die Umsetzung sind in Berlin die Sozialämter der Bezirke. (sum)

Interview Susanne Memarnia

taz: Herr Ostermann, in dem Wilmersdorfer Erstaufnahmeheim für Wohnungslose, das Sie leiten, leben inzwischen etwa 25 Prozent Syrer. Wie kommen die zu Ihnen? Wurden sie rausgeschmissen aus dem Flüchtlingsheim?

Clemens-August Ostermann: Nein, die kommen freiwillig. Es ist ja so: Wenn der Flüchtlingsstatus geklärt ist, die Leute Asyl oder subsidiären Schutz bekommen, dann wechseln sie von der Zuständigkeit des Landes in die der Kommune. Und dann haben sie auch Anspruch auf Unterbringung wie jeder andere Mensch. Jeder hat ja das Recht darauf, bei drohender Wohnungslosigkeit vom Staat, bei uns also vom Bezirk, wo man gemeldet ist, untergebracht zu werden. Genau genommen ist es sogar eine Ordnungswidrigkeit, obdachlos zu sein – aber nicht für den obdachlosen Menschen. Die Behörde begeht damit eine Ordnungswidrigkeit!

Manche Flüchtlinge gehen also zum Wohnungsamt ihres Bezirks und sagen: Ich bin obdachlos, bringen Sie mich unter?

Ja, so ungefähr.

Aber warum? Sie sind doch schon untergebracht, meistens im Flüchtlingsheim.

Na ja, aber die bieten noch weniger als die Einrichtungen für Wohnungslose. Wobei es da natürlich auch Unterschiede gibt. Es gibt solche Heime für Wohnungslose und dann sind noch einige tausend Wohnungslose in Hostels und Pensionen untergebracht. Aber in der Regel leben die Menschen hier schon etwas komfortabler als in einem Flüchtlingsheim, wo es beengter zugeht, es noch weniger Privatsphäre gibt. Zumal, wenn es eine Turnhalle oder eine sonstige Notunterkunft ist.

Sind die Räume in den Wohnungslosenheimen großzügiger?

Ja, genau. Manches ist aber auch gleich: Hier wie dort gibt es Gemeinschaftsküchen, gemeinschaftliche Bäder, nur das Schlafzimmer ist privat. Wobei Einzelpersonen sich in der Regel ein Zimmer zu zweit teilen müssen, also auch, wenn sie sich nicht kennen. Oder man bekommt als ganze Familie ein Familienzimmer für bis zu vier Personen.

Wie können Sie den Leuten dann helfen, eine Wohnung zu finden?

Als Erstaufnahmeheim können wir eigentlich nur Anschlusshilfen vermitteln. Wir haben hier einen Schlüssel von 30 BewohnerInnen auf eine Sozialarbeiterstelle. Da können Sie sich vorstellen, dass da nicht allzu viel Zeit für den Einzelnen bleibt.

Das ist doch aber besser als in einem Flüchtlingsheim. Dort betreut ein Sozialarbeiter 100 Menschen.

Ja, sehen Sie! Trotzdem können wir nicht mehr tun, als weiterführende Hilfen zu initiieren – wenn es gewünscht wird. In Wohnungen vermitteln gelingt nur, wenn die Klienten viel selber mitbringen und in der Lage sind, die Mittel, die es gibt, etwa Internetportale zur Wohnungssuche, zu nutzen. Wenn sie selber ihre Unterlagen vollständig zusammenstellen können, möglichst auch einscannen, wenn sie es schaffen, eingescannte Dateien ihren E-Mail-Bewerbungen um Wohnungen anzuhängen. Es muss ein E-Mail-Account da sein, es muss ein Smartphone da sein … Fitte Leute, die viel mitbringen, schaffen das. Das sind bei uns insbesondere die Syrer.

Wie kommt das?

Die bringen mehr mit, weil sie oft aus bürgerlichen Zusammenhängen kommen, weniger „belastet“ sind. Das sage ich in Anführungsstrichen, weil traumatisiert sind sie natürlich schon. Aber sie sind oft von ihrer Biografie her weniger belastet als Menschen, die vielleicht schon in der zweiten, dritten Generation von Transferleistungen leben.

Das ist bei den Deutschen, die hier sind, eher der Fall?

Hm, ja. Es gibt Fälle, wo die Leute hier tatsächlich beheimatet sind, also sehr lange hier leben und keine Motivation mehr haben, hier rauszukommen. Die Syrer hingegen sind oft nur ein paar Wochen oder wenige Monate hier, dann haben sie eine Wohnung.

Clemens-August Ostermann

56, studierter Soziologe, seit 20 Jahren in der sozialen Arbeit tätig. Seit Sommer 2016 Leiter des Erstaufnahmeheims Forckenbeckstraße in Wilmersdorf; zuvor bei verschiedenen Trägern der Wohnungslosenhilfe tätig.

Sie haben auch Familien hier, sagen sie. Sind darunter auch „biodeutsche“?

(lacht) Ja, biodeutsche Familien haben wir auch. Aber es sind überwiegend Roma-Familien und syrische Familien.

Gibt es Kontakte unter den Bewohnern?

Es gibt schon Gruppen, die sich zusammentun und viel miteinander machen. So gibt es jemanden, der kocht oft für seine Nachbarn im Männerhaus, da hat sich eine Art Gemeinschaft gebildet. Ansonsten bilden eher die mit einer gemeinsamen Sprache eine Gruppe, kochen zum Beispiel zusammen: also Roma mit Roma, Syrer mit Syrern, Deutsche mit Deutschen. Es geht eher nach Nationalität.

Gab es schon Beschwerden von deutschen Bewohnern, dass jetzt auch Flüchtlinge hierher kommen?

Gott sei Dank nicht. Es kratzt sich keiner gegenseitig die Augen aus, man lässt sich in Ruhe. Es wird sogar häufig eher als angenehm empfunden, weil die Flüchtlinge mehr Ressourcen haben, oft eine bessere Schulbildung und auch ein angenehmeres Sozialverhalten als manche, die krank sind, Suchtprobleme haben und vielleicht ein bisschen schwierig sind im Zusammenleben. Also ich kann nicht sagen, dass die Syrer abgelehnt werden. Die Roma schon eher, weil die einfach ein anderes soziales Leben praktizieren. Sie nutzen den öffentlichen Raum viel mehr als andere, also Küche, Flure, das Außengelände. Das wird von manchen als unangenehm empfunden, wenn es etwa nach 22 Uhr immer noch lustig zugeht. Aber natürlich gibt es bei Roma wie bei allen anderen Ethnien nette und weniger nette Menschen.