LESERINNENBRIEFE
:

Wer hätte das wissen können?

■ betr.: „Tödliche Billigklamotten“, taz vom 26. 11. 12

Wer hätte denn das wissen können? Unsere Billig-Klamotten werden in billigen Fabriken mit billigen Sicherheitsvorkehrungen von Billig-LöhnerInnen in Billig-Ländern hergestellt? Das konnte doch keiner ahnen! Hätten wir das gewusst, hätte doch niemand bei H&M&C&A&Co eingekauft. Jetzt lassen wir mal die Medien sich so richtig empören. Ich warte schon auf die empört hochgezogenen Augenbrauen von Marietta S. KAI BEIDERWELLEN, Speyer

Ein lächerlicher Betrag

■ betr.: „Die Spender und der Storch“, taz vom 24. 11. 12

Den Umweltverbänden gehe es finanziell so gut wie nie. Trotzdem bin ich über die angeblichen 200 Millionen Euro Jahreseinnahmen enttäuscht. Abzüglich der Firmenspenden gibt der private Durchschnittshaushalt also nicht einmal fünf Euro pro Jahr. Ein absolut lächerlicher Betrag! ARTUR BORST, Tübingen

Die alte soziale Frage

■ betr.: „Ein europäischer Frühling?“, taz vom 24. 11. 12

Der Beitrag ist gut gemeint und es ist auch schön, wenn Ulrich Beck sich heute mit starken Worten gegen „die sozialen Kollateralschäden der rigiden europäischen Sparpolitik“ wendet, die er für geeignet hält, den „wohlfahrtsstaatlichen Konsens zu demontieren“. Wer hätte diese Einsicht von einem erwartet, der vor zehn Jahren erst die ideologische Substanz des Blair-Schröder-Elaborats zur „Neuen Mitte“geliefert und die positivistische Figur des Risikokapitalismus geschaffen hat?

Jetzt, nachdem überall in Europa die von ihm hochgeschriebene Mittelklasse unter die Räder kommt, erscheint ihm dies urplötzlich als ein „neuartiger, grenzübergreifender Klassenkonflikt“, was aber nichts anderes ist als die alte soziale Frage. Die Austeritätspolitik, die er heute an Europa kritisiert, hatte im Deutschland der Jahre 2000 ff in der Mixtur aus Deregulierungspolitik und Agenda 2010 einen Vorläufer, zu dem Beck einen Beitrag geleistet hat, weswegen Pierre Bourdieu ihn treffend als „intellektuellen Hofschranzen“ tituliert hat (taz 25. 1. 02). Der bald elf Jahre tote Bourdieu hat im Übrigen damals schon gewusst, dass der europäische Sozialstaat als eine Errungenschaft unbedingt verteidigt werden muss. Immerhin, Beck scheint jetzt auch so weit zu sein. Aber ohne eine deutliche und bewusst formulierte Abstandnahme von alten Positionen bleibt die neue Beck’sche Radikalität unglaubwürdig. Darin gleicht Beck seinem alten Auftraggeber, der seitdem herumeiernden Spezialdemokratie, die deswegen im Jahr 2013 wieder mal den Kürzeren ziehen wird. HANS GÜNTER GREWER, Saarbrücken

Vermögende feiern

■ betr.: „Ein europäischer Frühling?“, taz vom 24. 11. 12

Ohne eine sehr weitreichende Reform des angelsächsischen Kapitalismus wird es nicht zu einer gedeihlichen Entwicklung Europas kommen. Es ist, wie es ist: Soziale Politikfelder werden als Erste dem Götzen Mammon zum Opfer gebracht werden (müssen), da das System des Zinseszinses die Vermögenden gegenüber den Habenichtsen absolut bevorteilt. Während die Armen sich mehr und mehr in den Suppenküchen drängeln, feierten die Vermögenden noch jede Krise bei Sekt und Kaviar.

Anders als eine grundlegende Systemänderung z. B. im Sinne der Dreigliederung des sozialen Organismus (als einem der dritten Wege) durchzuführen, wird es nicht möglich sein, diese fundamentale weltweite Krise des Kapitalismus zu bewältigen.

MICHAEL HEINEN-ANDERS, Köln

Kleinstaaterei hat Hochkonjunktur

■ betr.: „Ein europäischer Frühling?“, taz vom 24. 11. 12

Eine wesentliche Erkenntnis ist sicher, dass wir die ganze Zeit auf die arabische Welt, auf Russland, China, die USA, Südamerika starren und uns davon ablenken, dass wir in Kerneuropa so tief im Sumpf stecken wie eigentlich noch nie seit der Begründung der Montan-Union. Wenn alle Versuche, eine geordnete Katastrophenbewältigung zu organisieren, scheitern, gibt der Kapitän seinen letzten Befehl: Rette sich, wer kann. Das Schiff Europa hat aber keinen Kapitän im eigentlichen Sinn. Dennoch gibt es allenthalben Tendenzen, genau das zu tun, was noch keine(r) befohlen hat.

Es klingt gut, zu sagen, dass wir eine europäische Bewegung brauchen. Die Realität sagt aber, dass sich Europa gerade im Partikularismus verliert. Ohne Haushalt verkommt Brüssel zur Investitionsruine. Kleinstaaterei hat Hochkultur. Zollgrenzen an jeder Brücke. Hohe Mauern um reiche Häuser. Der Leidensweg wird lang. Bis sich Massen mobilisieren, muss der Druck so groß sein, dass Solidarität dadurch entsteht, dass auch der Letzte keinen Anreiz mehr hat, sich von seinem arbeitslosen Nachbarn abzugrenzen, weil er inzwischen auch entlassen ist.

Wir brauchen eine völlig neue Generation von Politikerinnen und Politikern. Mutig, unbestechlich, intelligent, emphatisch und willensstark. Diese benötigen unsere bedingungslose Unterstützung, wenn es darum geht, die alten, korrupten Institutionen abzuschaffen. Aber davon sind wir so lange meilenweit entfernt, wie es als Positivum empfunden wird, wenn eine einst Hoffnung versprechende neue Partei „endlich das bürgerliche Lager erreicht hat“!

HEINZ MUNDSCHAU, Aachen