Berliner Szenen
: Im Kapitalismus

Damals

Unglaublich, was die mit Karte zahlen: Joghurt für 40 Cent

In einer verrauchten Eckkneipe an der Greifswalder Straße sitzen an einem Donnerstagnachmittag zwei Männer an der Bar und reden über Geld. Der eine trägt Lederhosen und Norwegerpulli, der andere einen abgewetzten Anzug. Der Lederhosenträger sagt: „Die meesten ham doch keene Ahnung mehr vom Wert des Geldes. Die, die schon im Kapitalismus jeborn sind, sind die Dollsten: nie Geld dabei, allet nur Karte und klickklick im Netz. Und wenn de denen dann sachst, dass de se an en Bankautomat bringst, weil ne Taxe keen Ebay is, sind se total baff und fang an zu feilschen, von wejen: Komm, Alter, ick jeb dir mein Portemonnaie, det is noch n Fuffi wert, Barjeld is nich mehr den Monat, nur noch Kreditkarte.“ Der Anzugträger nickt: „Bei mir das Gleiche. Was die alles mit Karte zahlen: Joghurt für 40 Cent, Schokolade fürn Euro. Dass so ein Transfer zwei Euro kostet, stört die nicht, trifft ja das Karteninstitut. Die Leute denken nicht mehr in größeren Zusammenhängen, alle nur an sich und an den Moment.“ Die beiden bestellen ein neues Weizenbier, prosten sich zu, stopfen sich mit einer schwarzen Maschine Zigaretten aus einem Tabakkübel und beobachten die Frau neben sich.

Die hat stark gerötete Wangen und wirre Haare und kippt immer wieder beinahe mit dem Gesicht auf die Holztheke. Die Barfrau, eine blonde mit lederner Haut, reicht ihr dennoch noch einen Schnaps. Die Betrunkene ext das Glas, rülpst dann und sagt: „Tut mir leid für dich, mein Kind, tut mir leid.“ Der Lederhosenträger sieht den anderen an: „Dieis hier täglich, die is nich schwanger, zumindest nich mehr. Hat ihrn Job verloren.“ Der Anzugträger inhaliert tief, sieht dem Rauch nach und meint: „Da wünscht man sich doch die Mauer zurück. Da hätts das nich gegeben. Da war wenigstens Arbeit sicher.“

Eva-Lena Lörzer