Mehr Anthro-Medizin

Anthroposophisch orientierte Kliniken und Praxen setzen auf ganzheitliche Behandlung aus einer Hand. Von dem Netzwerk sollen Patienten, Krankenhäuser, Ärzte und Krankenkassen profitieren

VON GISELA BAUDY

Anthroposophisch orientierte Kliniken gehen neue Wege: Seit Januar läuft in den Gemeinschaftskliniken (GK) Havelhöhe und Herdecke sowie in der Filderklinik ein Pilotprojekt zur ganzheitlichen Geburtshilfe. Im Herbst startet ein Angebot zu Depression, weitere zu chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen und Brustkrebs sind in Planung. Teilnehmen dürfen bislang Versicherte der Techniker Krankenkasse (TK). Mitglieder anderer Krankenkassen sollen folgen – wenn es nach dem Willen der Initiatoren geht.

Hinter den Projekten steht das „Netzwerk Ganzheitsmedizin“, ein Zusammenschluss der drei anthroposophisch orientierten Krankenhäuser in Berlin, Herdecke und Stuttgart sowie der Abteilung Naturheilkunde des Immanuel-Krankenhauses in Berlin und derzeit rund 150 niedergelassenen Ärzte. „Wir wollen, was die Versicherten wollen: eine dem Menschen zugewandte Medizin“, sagt Erich Freisleben, einer der beiden Geschäftsführer des Netzwerks. Studien geben ihm Recht: Nach einer repräsentativen Befragung des Instituts für Demoskopie Allensbach aus dem Jahre 2000 wünschen knapp 90 Prozent der Deutschen neben der Schulmedizin Therapien, die den Anspruch haben, nicht nur auf Symptome zu blicken, sondern auf den ganzen Menschen mit Körper, Seele und Geist. Dazu zählen medizinisch anerkannte Verfahren wie anthroposophisch erweiterte Medizin, Naturheilkunde und Homöopathie. 90 Prozent der Behandelten machen mit Ganzheitsmedizin positive Erfahrungen, stellte das Institute of Clinical Economics 2004 fest. Das Netzwerk will deshalb auch erreichen, „dass ganzheitlich orientierte Medizin im System der gesetzlichen Krankenversicherung verbleibt“, sagt Freisleben.

Wichtige Säule des Netzwerks Ganzheitsmedizin ist die politisch gewollte stärkere Verzahnung von Behandlungen in Praxen und Krankenhäusern. Bei dieser so genannten integrierten Versorgung verpflichten sich niedergelassene Mediziner und Klinikärzte zu enger Zusammenarbeit. „Wir müssen die bisher üblichen Brüche zwischen stationärem und ambulantem Bereich vermeiden“, sagt Peter Zimmermann, Vorstandsmitglied des GK Herdecke. So könnten Patienten nach einem Klinikaufenthalt weiter ganzheitlich betreut werden.

Beispiel Geburtshilfe: „Krankenhausarzt, ambulanter Gynäkologe und Hebamme bilden hier ein Team“, erklärt Zimmermann. Sie treffen sich monatlich, entwickeln Kriterien für die Beratung und Behandlung von Schwangeren, diskutieren Fälle gemeinsam. Vor der Geburt arbeiten Gynäkologe und Hebamme eng zusammen. Sie besprechen mit der Frau, ob das Kind in einer Klinik oder zu Hause auf die Welt kommen soll. Spezielle Kurse bereiten Eltern auf die Geburt und das Leben danach vor. Neu ist eine so genannte aufsuchende Familienberatung: Nach der Geburt kommt ein Team-Mitglied bis zu fünfmal nach Hause und berät die Frau oder das Paar in Fragen zum Stillen oder Erziehen. Die Geburt selbst folgt anthroposophischen Leitlinien. „Wir sind für Eltern da, die ihr Kind in einem geschützten familiären Raum zur Welt bringen wollen. Und wir propagieren eine natürliche Geburt“, sagt Albrecht Diller, Klinikdirektor der Filderklinik. Heileurythmische Übungen sollen der Frau helfen, die Geburt ihres Kindes bewusst zu erleben und mitzugestalten. Bei Beschwerden werden auch anthroposophische, homöopathische oder naturheilkundliche Medikamente eingesetzt. Nach der Geburt sind Eltern und Kind in den ersten zwei Stunden völlig ungestört. Oft darf der frisch gebackene Vater über Nacht im Zimmer bleiben.

Durch die integrierte Versorgung des Netzwerks Ganzheitsmedizin sollen alle Beteiligten gewinnen – so die Grundidee: Versicherte werden durch ein kompetentes Ärzteteam gut betreut und bekommen eine auf ihre Bedürfnisse abgestimmte ganzheitliche Behandlung. Niedergelassene Ärzte greifen auf Vorbefunde zurück und haben so Zeit für intensive Gespräche mit ihren Patienten. Der ganzheitliche Ansatz erhöht den Behandlungserfolg; das bindet Menschen. Krankenhäuser können weiterhin eine ganzheitliche Versorgung garantieren. Durch die Zusammenarbeit mit niedergelassenen Ärzten wollen sie außerdem kürzere Behandlungszeiten und leere Betten kompensieren. Sie hoffen auf neue Patienten und Marktanteile. Krankenkassen profitieren durch wegfallende Doppeluntersuchungen und indem sie ihren Versicherten Therapien erstatten, die diese sonst aus eigener Tasche zahlen müssten. Ein Marketinginstrument, das Kunden anzieht. Das Netzwerk hofft jedenfalls, dass noch andere Versicherungen als die TK das so sehen und mit ihm Verträge abschließen.

Weitere Informationen: www.netzwerk-ganzheitsmedizin-berlin.de, www.havelhoehe.de, www.filderklinik.de, www.gemeinschaftskrankenhaus.de, www.tk-online.de