Sieger der Herzen

Grünen-Kandidat

Eine Niederlage kann manchmal ein Sieg sein. Nur extrem knapp verpasste Schleswig-Holsteins Umweltminister Robert Habeck am Mittwoch die Spitzenkandidatur der Bundesgrünen für die Bundestagswahl. Läppische 75 Stimmen fehlten ihm beim Mitgliederentscheid zum Triumph über den grünen Parteivorsitzenden Cem Özdemir. 12.204 zu 12.129 lautete das Ergebnis oder 35,96 Prozent zu 35,74 Prozent zugunsten des „anatolischen Schwaben“ Özdemir. „Knappe Kiste“, kommentierte Habeck den Ausgang gewohnt flapsig.

Mit eben dieser unkonventionellen Art hatte der 47-Jährige aus dem hohen Norden bei der Basisbefragung dem grünen Establishment arg zugesetzt. Talkshow-Star Özdemir wurde bei den parteiinternen Castings vor der Basis nur mühsam seiner Favoritenrolle gerecht, der Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Anton Hofreiter, verblasste rasch und kam als dritter Bewerber nur auf 29,19 Prozent.

Bezeichnend für den Außenseiter Habeck mit dem geringsten bundesweiten Bekanntheitsgrad der Kandidaten war eine Szene beim ersten gemeinsamen Auftritt Ende Oktober in Hannover. Als Hofreiter langatmig über sein Lieblingsthema Massentierhaltung dozierte, grätschte Umwelt- und Landwirtschaftsminister Habeck dazwischen: „Du kannst auch zehn Kühe scheiße halten, Toni!“ Es gehe um das Tierwohl und ökologische Bedingungen, nicht nur um die Zahl der Tiere.

Bei der Basis kam der promovierte Philosoph damit gut an. Auch mit seinem Credo, die Grünen müssten zur „Gesellschaftspartei“ und „Orientierungspartei“ werden, die für breite Kreise wählbar sei. Er sei das personelle Angebot dafür, „dass wir Grünen unseren Anspruch thematisch, aber auch milieumäßig erweitern“, hatte Habeck klargestellt. Fast hätte das zum Überraschungssieg gereicht. So wird er nur zum Sieger der Herzen.

Nun bleibt Habeck bis zur Landtagswahl in Schleswig-Holstein am 7. Mai im Kabinett der Dreier-Koalition aus SPD, Grünen und Südschleswigschem Wählerverband (SSW). Sollte diese fortgesetzt werden, wird er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch wieder Minister werden. Sollte die Koalition jedoch keine Mehrheit mehr bekommen, würde Habeck arbeitslos, denn für den Landtag kandidiert er nicht erneut. „Dann muss ich eben wieder Bücher schreiben“, hatte der Schriftsteller schon Monate zuvor in Aussicht gestellt: „Es gibt Schlimmeres.“ smv