„Das könnte eine Klagewelle geben“

Abgasskandal Ein Gericht verurteilt VW zur Schadenersatzzahlung. Josina Starke über Bedeutung und Folgen des Urteils

Josina Starke

Foto: Roland Schneider

Die 35-Jährigeist Projektmanagerin für Verbraucherrecht bei der Verbraucherschutzzentrale Niedersachsen.

taz: Frau Starke, das Hildesheimer Landgericht hat VW dazu verurteilt, einem Š koda-Fahrer den Kaufpreis zu erstatten. Nicht das erste Urteil im Abgasskandal. Was ist neu an dieser Entscheidung?

Josina Starke: Das Neue ist, dass sich dieses Urteil erstmals gegen die Volkswagen AG als Hersteller und nicht gegen den Autohändler, also den Verkäufer, richtet. Die Richter sahen es als erwiesen an, dass die Manipulation der Motorsoftware eine sogenannte sittenwidrige, vorsätzliche Schädigung darstellte und darüber hinaus der Tatbestand des Betrugs verwirklicht ist. Die bisherigen Urteile gegen die Autohändler zielten darauf, dass das Auto mangelhaft im Sinne der Gewährleistungsrechte ist.

Der Abgasskandal ist seit Herbst 2015 bekannt. Warum wurde VW erst jetzt in seiner Funktion als Hersteller verurteilt?

Klagen im Rahmen der kaufrechtlichen Gewährleistung mussten von den Verbrauchern nach Bekanntwerden der Manipulation schnell eingereicht werden, da die Frist für Gewährleistungsansprüche in der Regel zwei Jahre beträgt. Das heißt, danach können Verbraucher ihren Autohändler nicht mehr belangen. Genau das war auch im Hildesheimer Verfahren der Fall. Der Kläger hatte sein manipuliertes Auto 2013 erworben, konnte also keine Ansprüche mehr gegen seinen Autohändler geltend machen. Für eine Schadenersatzanforderung blieb ihm damit nichts anderes übrig, als VW als Hersteller zu verklagen – mit Erfolg, wie sich herausgestellt hat.

Wie lange beträgt die Verjährungsfrist bei sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung?

Drei Jahre nach Bekanntwerden der Schädigung. Die Frist beginnt zum Ende des Jahres, in dem der Betroffene von der Manipulation erfahren hat. Sprich: Noch bis Ende 2018 hätte der Verbraucher Zeit, gegen VW als Hersteller Klage einzureichen.

Wird das Urteil Signalwirkung auf andere Verfahren haben?

Das bleibt abzuwarten. Andere Landgerichte sind nicht an diese Entscheidung gebunden und können abweichende Urteile treffen – was im Übrigen auch schon geschehen ist. Zudem hat VW bereits angekündigt, gegen das Urteil Berufung einzulegen. Interessant wird es, wenn das Urteil von höheren Instanzen wie dem Oberlandesgericht und dem Bundesgerichtshof bestätigt wird. Das hätte in der Tat bindende Wirkung und könnte eine Klagewelle zur Folge haben.

Was raten Sie den betroffenen Verbrauchern? Sollte man in Zukunft seine Rechte gleich gegen VW geltend machen?

Wenn die Gewährleistung noch nicht abgelaufen ist, sollte man sich zunächst an seinen Verkäufer wenden. Die Rechtslage hinsichtlich einer Herstellerverantwortung ist noch nicht abschließend geklärt. Bevor Verbraucher mit einer Schadenersatzklage gegen VW vorgehen, sollten sie noch weitere Urteile abwarten.

Interview Daniel Böldt