Der erste Weihnachtsfilm im neuen Jahr – eine Komödie

Psychiatrie „Der mit dem Schlag“ (Arte, 20.15 Uhr) will seine Heimatstadt weihnachtlich erleuchten

Im vorvergangenen Jahr durfte man sich noch wundern, als die ARD einen Konstanzer Weihnachts-„Tatort“ bereits am 1. November gezeigt hat. 2017 können sie darüber bei Arte nur müde lächeln – und senden den ersten Weihnachtsfilm des Jahres bereits am 6. Januar: Er heißt „Der mit dem Schlag“.

Der Starkstromtechniker-Held (Hinnerk Schönemann) wünscht sich nichts sehnlicher, als seine Heimatstatt Lotheim, das „Tor zur Lüneburger Heide“, nach 52 Jahren mit einer neuen Weihnachtsbeleuchtung zu beglücken. Natürlich wird ihm das am Ende bildmächtig gelingen. Nur muss er davor und dafür noch als unechter Weihnachtsmann aus der Klinik abhauen. Zudem ist der Film von so herzerwärmender Harmlosigkeit, wie man sie ihm zu einem anderen Zeitpunkt als zu Weihnachten niemals durchgehen lassen könnte. Das ist man von Regisseur Lars Becker sonst nicht gewohnt.

Zur Komödie gewechselt

Sonst verfilmt der meistens seine eigenen Drehbücher (dieses stammt von Christian Jeltsch). Krimis und Thriller, die vorzugsweise seine norddeutsche Heimat, gerne die Stadt Hamburg, als unglamourösen Hort menschlicher Abgründe zeigen. Zu nennen wäre zu allererst die „Nachtschicht“-Reihe (nächste Folge am 20. 2., Buch und Regie: Lars Becker), aber auch das Filmdoppel „Unter Feinden“ und „Zum Sterben zu früh“ um einen korrupten Polizisten: am Abgrund. Besonders schön gelingt Becker regelmäßig die Grundierung eines melodramatischen Plots mit seinem, nun ja: abgründigen Humor. Und wenn er auch gelegentlich ins Komödienfach wechselt: Nichts liegt Lars Becker ferner als die Knallchargen-Klamotte. So war es bis heute.

„Der mit dem Schlag“ ist bis in die Nebenrollen mit bewährten Schauspielern und prominenten Darstellern besetzt. Mit dem Lars-Becker-Veteranen Armin Rohde als wertkonservativem Bürgermeister: „Weihnachten, das ist Tradition, und das heißt, alles bleibt, wie es ist!“ Sophie Rois und Peter Lohmeyer spielen Psychiater mit unterschiedlichem Berufsethos. Sascha Reimann (Ferris MC) und Alexander Bojcan (Kurt Krömer) geben den besten Freund und den wenig hilfreichen Bruder des Starkstromtechnikers, der als Kind einen Schlag abbekommen hat. Deswegen ist er ein bisschen eigen, was ihn nur umso liebenswerter macht, aber nicht etwa verrückt.

Parallele zum Fall Mollath

In der Lesart des Films trifft das mehr oder weniger auf alle zu, die der Starkstromtechniker in der Klinik trifft. Dort hineingebracht hat ihn eine aufs Erbe schielende intrigante Schwägerin mit Mitteln, die der Bruder mit den Begriffen „Erpressung, Fälschung, Betrug“ juristisch nicht ganz richtig erfasst. Der reale Fall des von seiner Ehefrau beschuldigten und in den psychiatrischen Maßregelvollzug eingewiesenen Gustl Mollath, ein möglicher Justizirrtum, diente hier wohl als Quelle der Inspiration. Sollte es allerdings ein Anliegen des Films sein, auf systemische Mängel im System aufmerksam zu machen oder dieses grundsätzlich in Frage zu stellen – oder sollte er, weil ja in elfeinhalb Monaten schon wieder Weihnachten ist, einfach nur für mehr Toleranz gegenüber Menschen mit ihren ganz individuellen Problemen werben wollen: Bärendienst. Weil, wie gesagt: Knallchargen-Klamotte.

Die Insassen mit ihren Ticks und Traumata sind ebenso grob konstruiert wie der Gutachter und die Richterin als Golfpartner der bösen Schwägerin, die zufällig auch die Lehrerin ihrer Kinder ist. Haha. Und der Starkstromtechniker ist von so naiv-kindlichem Gemüt, dass schlicht nicht nachzuvollziehen ist, wie eine erwachsene Frau (Lisa Maria Potthoff) das sollte ertragen können. Das ist das Problem. Der Film behauptet Empathie und fordert sie ein. Aber er tut nichts, um sie zu erzeugen. Das mit Abstand Komischste an „Der mit dem Schlag“ ist der Sendetermin. Jens Müller