Berliner Szenen
: Spandau lesen

Rein hier

Die Inschriften der Läden sprechen für sich

In der Pichelsdorfer Straße, der Haupteinkaufsstraße der Spandauer Wilhelmstadt, die durch ihre hohe Dichte an Spezialwarenhändlern, Boutiquen und Nahversorgungsläden noch bis in die Neunziger als der Kurfürstendamm Spandaus galt, steht jetzt jeder zehnte Laden leer. Casinos, Kosmetiksalons und Kneipen reihen sich aneinander. Ein wenig erinnert die Gegend an St. Pauli: nur ohne Bordelle und ohne Touristen.

Bei einem Spaziergang durch die Gegend versteht man sofort, was Franz Hessel 1929 in seinem Buch „Spazieren in Berlin“ meinte, als er schrieb, im Flanieren könne man Städte lesen wie einen Text. Die Inschriften und Auslagen der Läden hier in der Wilhelmstadt sprechen für sich: In den Ladenräumen eines der eindrucksvollsten ­Gründerzeithäuser der Pichelsdorfer Straße kämpft Pfennigland um Kunden: Die gesamte Schaufensterfläche zieren überdimensional große Cartoon-Daumen mit dem Slogan „Rein hier!“

Das Professionals Nagelstudio bietet Neukunden „5 Euro Rabatt auf Nageldrainage!“, ein Casino eine klimatisierte VIP-Lounge. Eine Apotheke wirbt mit dem Slogan: „Warum in die Ferne schweifen, wenn Sie auch bei uns bei Tag und bei Nacht alle rezeptfreien Medikamente kaufen können.“ Am Ende der Straße klebt an der Tür eines leerstehenden Ladens ein altes Wahlplakat der Linken: „Profiteure der Krise jetzt zur Kasse.“

Im Schaufenster eines Schreibwarengeschäfts einen Block weiter, gegenüber dem Bestatter, der seinen Kunden für die Beratungszeit die Parkgebühren erstattet, stehen inmitten von Plastikeulen und Postkarten zwei Sparschweine: ein gemästetes und ein ausgemergeltes. Auf dem gemästeten steht: „Wir müssen den Gürtel enger schnallen.“ Auf dem Bauch des ausgemergelten: „Sparen für magere Zeiten.“

Eva-Lena Lörzer