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Das Ding, das kommtDas Quaken der Jungfrau

Die Oboe ist das „Instrument des Jahres 2017“. Dabei ist sie im heutigen Symphonieorchester – ehrlich gesagt – dysfunktional Foto: Hustvedt/Wikimedia

Die Oboe ist kein Befund. Sie ist ein Blasinstrument, auch wenn es beim Spielen so aussieht, als wäre sie eine Presswurst. Zum Instrument des Jahres ausgerufen hat sie der Landesmusikrat Schleswig-Holstein.

Oboisten zuzusehen ist nie schön, vor allem, wenn man weiß: Die müssen wirklich mit so gewaltigem Druck ihre Atemluft in den zarten Zwischenraum zwischen den Röhrchen pressen, dass gleich die Fontanelle platzt und aus Augen, Mund und Nase quillt das Blut. Sie besitzt aus unerfindlichen Gründen „seit der Barockzeit einen festen Platz im Orchester“, so der Landesmusikrat.

Veranlasst wurde das von Louis XIV. und zwar kurz nach ihrer Erfindung durch die Instrumentenbauer Filidor und Hautteterre. Die haben, einem Zeitzeugen zufolge, Unmengen an Holz verschwendet, um aus der Schalmei, die irgendwie zu peinlich und zu ordinär geworden war, etwas zu schnitzen, das den gestiegenen Ansprüchen des Hofs entsprach. Zwei Stellen hat der Sonnenkönig in seinem Hoforchester geschaffen: Eine für Philbert – das war der Künstlername eines gewissen Philippe Rebillé, der als erster Oboenspieler überhaupt gilt. Und eine für René Pignon aka Monsieur Décoteaux. Der war die Nummer zwo. Vor 1657 muss das gewesen sein.

Im heutigen Symphonieorchester sind Oboen – ehrlich gesagt – einigermaßen dysfunktional: Einerseits sind sie viel schwieriger zu blasen als die des 17. Jahrhunderts – und verbreiten Angst und Schrecken. Andererseits ruiniert ihr Klang die Stimmung intern, ohne nach außen zu dringen. Im Ensemble verliere sich ihr „besonderes Timbre“, schreibt schon der französische Komponist Hector Berlioz in seinem „Großen Instrumentierungs-Traktat“ (1844/55). Sie als Harmonieinstrument im Tutti einzusetzen, bedeute daher „die Tonkunst und den gesunden Menschenverstand mit den Füßen treten“. Nur würden das fast alle tun, bedauert er.

Berlioz war ein Oboenliebhaber. Nur eben bitte solo, und wegen ihrer Horrorshowqualitäten am besten auf der großen Bühne: Berlioz lobt ihren Einsatz zumal in Christoph Wilibald Glucks Iphigenie-Opern, in denen sie beispielsweise das Lamento des Agamemnon darüber verdoppelt, dass er leider seine Tochter opfern muss. Ganz ähnlich empfindet Hugo Riemann sie in Programmmusik und Oper an ihrem Platz. In denen erscheine sie als „Repräsentantin der Jungfräulichkeit“. Von dort ist es dann wirklich nur noch ein Schritt zu der einleuchtendsten aller illustrativen Nutzungen der Oboe, zu der Sergej Prokofjew in „Peter und der Wolf“ gefunden hat – wo die Oboe endlich Ente sein darf. bes

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