: „Ich arbeite mit dem akustischen Alltag“
EXPERIMENTELLE MUSIK Der Hamburger Komponist Michael Maierhof zeigt beim Festival „Klub Katarakt“, wie man mit Untertönen Musik macht und alltägliche Klangkomplexe akustisch und kompositorisch fassen kann
Interview Robert Matthies
taz: Herr Maierhof, was sind Untertöne?
Michael Maierhof: Es sind Überdruckphänomene. Man greift zum Beispiel auf dem Cello einen Ton, spielt mit ein bisschen mehr Druck und etwas langsamer als normal. Man kann dann jede zweite Saitenschwingung verhindern und bekommt die Oktave darunter. Wenn man noch genauer einstellt, kann man jede dritte Schwingung verhindern. Dann bekommt man die Oktave und die Quinte darunter. Im Grunde ist es das Gleiche wie mit den Flageoletts.
Untertöne galten lange nur als Konstrukt.
Ich habe auf dem Streichinstrument gemerkt: Nein, das klingt, das ist auch nicht nur psychoakustisch. Ich kann spüren, wenn der erste Unterton anspringt, dass mein Cello wirklich in der halben Schwingungszahl schwingt. Es sind ganz andere Materialprozesse. Mittlerweile gibt es die ersten Dissertationen über Untertöne und es wird langsam als real existierendes Phänomen anerkannt.
Wie klingt das?
Die Geige hat plötzlich etwas sehr Raues, sehr Dreckiges. Man merkt, da ist ein Potenzial von Klang drin, der unter Druck steht. Du brauchst diesen Überdruck und hörst dieses Verhindern.
Wie komponiert man mit Untertönen?
Ich habe meine Materialentscheidungen so getroffen, dass sehr schnelle Wechsel zwischen den Untertönen stattfinden, sie sehr schnell hin- und herspringen. Es wirkt dann sehr virtuos, aber man hält eigentlich nur den Finger auf einer Position und macht alles mit dem Bogen. Das muss man hören, es ist wirklich ein anderes Hören. Man muss das Ohr einmal richtig einstellen auf diese Klangwelt und dann ist es ganz toll. Man muss aber schon Lust haben, sich von dem „schönen Geigenton“ zu verabschieden.
An dieser Entdeckung arbeiten Sie sich systematisch ab?
Ich mache es mit unterschiedlichen Saiteninstrumenten, entdecke das aber tatsächlich auch in anderen akustischen Phänomenen. Im Moment arbeite ich viel mit Motoren als Anreger.
Das sind kleine Zahnbürstenmotoren.
Ja, die sind sehr gut zu händeln und billig. Ich baue sie dann so um, dass sie Instrumente anregen können.
Sie werden oft als jemand beschrieben, der mit Alltagsgegenständen Musik macht.
Das wird oft missverstanden. Ich arbeite mit dem akustischen Alltag. Dass ich Zahnbürsten, Wäscheklammern und Plastikbecher nehme, hat auch damit zu tun, dass sie greifbar und günstig sind. Es sind quasi Experimentiermaterialien, die ich um die Ecke habe. Aber es geht nicht um die elektrische Zahnbürste. Es geht um den Motor, der dann etwas auslöst, das mit unserer akustischen Realität zu tun hat. Es ist mir nicht unsympathisch, dass es billig ist, aber das ist nicht der Grund, warum meine Musik etwas mit dem Alltag zu tun hat. Das Alltägliche erzeugt die Klangwelt, an die die Leute andocken können.
Sie sprechen deshalb nicht einfach von Alltagsgeräuschen, sondern von Klangkomplexen.
Musikalisch gibt es für mich kein „Geräusch“, das ist vom Begriff her schon pejorativ und undifferenziert. Es sind Klangkomplexe, die mich interessieren, die innerlich so komplexe Strukturen erzeugen können wie eigentlich auch ein tonaler oder atonaler Satz. Mein Hauptthema ist: Wie ist Musik heute möglich, ohne dass man Tonhöhen organisiert? Mein Ansatz ist eher, dass man die Tonhöhen als Trigger für neue Klangkomplexe nimmt. Ich nenne das nicht-tonhöhenorganisierte Musik. Ich beschäftige mich damit, physikalische Prozesse in Gang zu setzen, die eine Binnenkomplexität erzeugen, ohne dass man sagt, es ist jetzt eine pure Noise-Wand oder es ist nur ein Türquietschen. Es ist kontrollierbar und ein Feld der Forschung.
Geht es Ihnen um eine Befreiung von der Tonalität und Atonalität?
60, arbeitet als Komponist und Improvisator an einer nicht über Tonhöhen organisierten Musik und entwickelt Untertontechniken unter anderem für Streichinstrumente.
Genau, aber ich bin natürlich nicht der Einzige. Es ist eine Tendenz in den vergangenen 20 Jahren, gerade in der Elektronik, in der Improvisation, in der Subkultur sowieso viel mehr als in der akademischen Musik. Die Subkultur thematisiert dieses urbane Lebensgefühl, mit all dem Lärm und Stress. Es geht also um das, was auch in der Popmusik schon lange Thema ist. Auch die unangenehmen Faktoren zum Gegenstand des künstlerischen Interesses zu machen; dass man sagt: Unser akustischer oder emotional involvierter Alltag ist auch Gegenstand, nicht nur abstrakte Tonhöhenspielerei, die in der Akademie verstanden wird, aber draußen niemanden interessiert.
Worin liegt dann der Unterschied zwischen dem Wohlgeordneten, das ich als Musik wahrnehme, und „Störgeräuschen“, die von irgendwo herkommen?
Es ist komponiert. Meine akustische Wahrnehmung der Realität ist ein hoher Noiselevel – ich wohne mitten auf St. Pauli. Das ist Teil meines Alltags und damit beschäftige ich mich. Aber wenn ich Untergründe baue, auf denen gerieben wird, also Reibeklänge erzeuge, ist es nicht einfach ein Klang, der hingestellt wird. Sondern es wird genau durchstrukturiert, eigentlich auf genau demselben Komplexitätsniveau, wie wenn man Tonhöhen organisiert. Es ist sogar noch schwieriger, ein so breites Material wie einen Klangkomplex akustisch und kompositorisch zu fassen.
Auf dem Festival „Klub Katarakt“ ist Ihnen ein Porträtabend gewidmet. Was gibt es dort zu hören?
Ich werde etwas über meine Stücke und meinen Ansatz sagen: wie ich denke, wie kompositorisches Material heute aussehen könnte, mit dem Alltags- oder lebensweltlichen Bezug. Ich werde auch ein paar Klangprinzipien demonstrieren, damit man mal hört, wie eigentlich Untertöne auf der Geige klingen. Es gibt ein paar Solostücke zu hören, eines für Geige, eines für Klarinette, auch eins für Video, also ohne Ton.
Sie haben außerdem für den „Klub Katarakt“ ein Auftragswerk geschrieben, das uraufgeführt wird.
Das Stück heißt „Schwingende Systeme B“, dabei geht es um Schwingungsprozesse, Überlagerungen mit allen möglichen sehr einfachen Materialien und ganz viel Motoren. Dazu gibt es „Exit F“ zu erleben, ein Stück unter anderem für Heißluftballons, dass ich mit dem Nadar-Ensemble schon ein paar Mal draußen gemacht habe. Dabei geht es um das Feuern. Diesmal machen wir es zum ersten Mal als Indoorstück.
„Klub Katarakt“: Mi, 18. 1. bis Sa, 21. 1., Kampnagel.
Lecture und Porträt Michael Maierhof: Do, 19. 1., 19 Uhr
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