Es darf kein Gesinnungsstrafrecht geben

Terrorabwehr Grünen-Innenexperte begrüßt einige Verschärfungen, warnt aber vor Übereifer

Die Berliner Sicherheitsbehörden erstellen derzeit ein Bewegungsprofil des Terroristen Anis Amri. Dabei geht es um die drei Monate bis zum 19. Dezember, dem Tag des Anschlags auf dem Berliner Breitscheidplatz.

Amri war als Gefährder eingestuft. Am 21. September hatte der Berliner Generalstaatsanwalt die Überwachung der Telekommunikation unter anderem deshalb beendet, weil Amri eine „relevante Moschee“ nicht mehr aufgesucht habe. Seit Dienstag weiß man: Am 2. und 3. Oktober hat Amri die relevante Moschee – die Fusilett-Moschee – betreten. Die Aufnahmen des Verfassungsschutzes seien erst jetzt ausgewertet worden, teilte Berlins Innensenator mit. (taz)

taz: Herr von Notz, sind die Maßnahmen gegen islamistischen Terror, auf die sich Innen- und Justizminister geeinigt haben, sinnvoll?

Konstantin von Notz: Vieles davon sind Dinge, die die Große Koalition längst hätte machen müssen – der Informationsaustausch zum Beispiel auf europäischer Ebene funktioniert sehr schlecht. In einem freizügigen Europa brauchen wir ein funktionierendes System. Da ist absolut zu wenig gemacht geworden. Das Gleiche gilt für den wichtigen Bereich der Prävention.

Sind 18 Monate Abschiebehaft und Fußfessel für Gefährder, die ja keine Straftäter sind, verhältnismäßig?

Die Fußfessel ist Symbolpolitik, sie verhindert keine Anschläge. In Frankreich hat ein Terrorist mit einer Fußfessel einem Priester die Kehle durchgeschnitten. Das zeigt, dass man damit nicht effektiv für mehr Sicherheit sorgt. In Einzelfällen kann das vielleicht Sinn machen, eine schlüssige Antwort auf die Probleme ist es nicht. Dass man einen abgelehnten Asylbewerber festsetzen kann, bei dem es wie im Fall Anis Amri konkrete Hinweise gibt, dass er einen Anschlag begehen will, das finde ich richtig – wenn es konkrete und hinreichende Belege für die Gefahr gibt. Was es in einem Rechtsstaat nicht geben darf, ist ein Gesinnungsstrafrecht. Wir werden die Regelungen, wenn sie ausgearbeitet sind, sehr genau prüfen.

Was ein Gefährder ist, ist bislang nicht klar definiert.

Das ist ein erhebliches Problem – europaweit, aber auch in Deutschland. Das Gemeinsame Terrorabwehrzentrum unterscheidet verschiedene Gefährdungsstufen. Wenn man an diese Einstufung als Gefährder rechtliche Konsequenzen knüpft, muss man das genau definieren, das ist bislang nicht der Fall. Bemerkenswert ist auch, worüber die Minister nicht gesprochen haben.

Zum Beispiel?

Das europäische Waffenrecht soll als Reaktion auf die Anschläge von Paris reformiert werden, dort wurden umgebaute Dekorationswaffen benutzt. Die Sicherheitsbehörden sagen, dass es Tausende von diesen Waffen in Europa auf dem Schwarzmarkt gibt, dagegen aber geht die Bundesregierung nicht entschieden vor. Ein weiteres Problem ist das fehlende Personal bei den Bundesbehörden. Jahrelang wurde Personal abgebaut.

Konstantin von Notz

Foto: dpa

45, ist promovierter Jurist, Innenpolitiker und stellvertretender Vorsitzender der grünen Bundestagsfraktion.

Sie diskutieren auf Ihrer Fraktionsklausur auch über Sicherheit. Welche Konsequenzen ziehen Sie aus dem Fall Amri?

Bis heute sind viele relevante Fragen nicht beantwortet, deshalb haben wir im Bundestag auch eine kleine Anfrage eingereicht. Wie ist er an die Waffe gekommen? Wer hat exakt entschieden, dass seine Gefährdung so schwach eingestuft wurde? Hat nicht nur die Polizei, sondern auch der Verfassungsschutz Amri überwacht? Wir wissen noch nicht, was schiefgelaufen ist und was man effektiv verbessern muss. Verstörend ist, dass man so viele Hinweise auf die Gefährlichkeit dieses Mannes hatte und man ihn doch aus den Augen verloren hat.

InterviewSabine am Orde