Berlinmusik
: Entspannt & angespannt

In den Achtzigerjahren war „New Age“ ein Schimpfwort für Musik, die man – oft zu recht – als geschmacksverirrten Elektronik-Eskapismus in entsprechende Plattenfächer einsortierte, wo sie dann von einem meditationsfreudigen oder anderweitig esoterisch orientierten Publikum gekauft werden sollte. Heute, wo vermutlich jeder zweite CEO seinen Yoga-Kurs besucht, um im Job besser zu funktionieren, hat sich die pauschale Ausgrenzung von New Age hin zu einer pragmatischen Akzeptanz verschoben.

Auch in der Clubmusik gibt es derzeit verstärkt Interesse an sanfteren Frequenzen, vielleicht weil viele Leute lieber lockerlassen wollen, als die körpereigene Spannung in Richtung Krampf zu erhöhen. Dass etwa der in Berlin lebende australische Produzent Lewie Day, der unter dem dynamischen Pseudonym Tornado Wallace verspielte House-Produktionen hervorbringt, für sein Debütalbum „Lonely Planet“ unter anderem auf New-Age-Einflüsse zurückgegriffen hat, folgt einem allgemeinen Trend und geht bei ihm allemal in Ordnung.

Tornado Wallace stattet seine laid back anrollenden Stücke mit diversen Signaturen des Lässigen aus, allen voran die trommelgruppenkompatible Perkussion des Balearic und die zugehörigen tiefenentspannten Synthesizermelodien. Von den flexibel zwischen Funk und Rock hin und her schaltenden Gitarren ganz zu schweigen. In der Clubmusik verzichtet man inzwischen ja gern auf klare Genrezuweisungen. Von dieser Freiheit macht Tornado Wallace auf „Lonely Planet“ großzügig Gebrauch. Es sei ihm gedankt.

Mit Clubkonventionen spielt auch der ebenfalls in Berlin ansässige Kanadier Jesse Osborne-Lanthier, doch mit etwas anderem Akzent. Der als Produzent und Künstler aktive Osborne-Lanthier hat sich für seine EP „Unalloyed, Unlicensed, All Night!“ eine Versuchsanordnung überlegt, in der er auf die Bedürfnisse von Clubbesuchern reagiert, ohne handelsübliche Tanzflächen-Tools abzuliefern.

Beat, Bass, Hooks – im Grunde alles da, was ein Techno-Track so braucht. Osborne-Lanthier setzt diese Bauteile aber in derart reduzierter Form zusammen, dass sie ihren Zweck kaum noch zu erfüllen scheinen. Auf die Körper der Zuhörer zielt das Ganze dennoch ab, es dürfte bloß einige Eingewöhnung benötigen, um in Bewegung übersetzt zu werden – oder sehr offene Ohren. Tim Caspar Boehme

Tornado Wallace: „Lonely Planet“ (Running Back/Rough Trade)

Jesse Osborne-Lanthier: „Unalloyed, Unlicensed, All Night!“ (Raster-Noton/Kompakt)