Otello hinterm Stacheldraht

OPER Die Staatsoper Hamburg zeigt Verdis „Otello“ in der Inszenierung von Skandal­regisseur Calixto Bieito. Der rahmt das Drama mit Anspielungen auf die Flüchtlingskrise und bleibt unaufgeregt

Regisseur Calixto Bieito inszeniert „Otello“ an der Staatsoper Hamburg mit eigener Ouvertüre: Der Chor der Staatsoper wird zu einer Menge von Hilfe suchenden Flüchtlingen Foto: Hans Jörg Michel/Staatsoper Hamburg

Von Dagmar Penzlin

Eifersucht kann in Mord münden. Eine extreme Emotion, wie gemacht für die Opernbühne und für Skandalregisseur Calixto Bieito. Der Katalane hat zum ersten Mal an der Staatsoper Hamburg gearbeitet – aber der Skandal blieb aus. Bieito erzählt die Geschichte von Giuseppe Verdis „Otello“ zugespitzt, zugleich mit psychologischem Gespür. Dabei rahmt er das Drama mit Anspielungen auf die aktuelle Flüchtlingskrise. Das Premierenpublikum reagierte mit Buhs und Bravos.

Otello, ein Außenseiter mit schwarzer Hautfarbe, hat es bis zum Befehlshaber der venezianischen Armee gebracht. Eigentlich beginnt die Oper damit, wie Otello als Sieger von einem Einsatz im Meer zurückkehrt, beobachtet vom Volk auf Zypern, wo die Venezianer stationiert sind. Bieito fügt dem Stück seine eigene Ouvertüre bei: Eine Menge zerschundener, gefesselter Menschen, die einen an Flüchtlinge denken lässt, rückt langsam und stumm bis zu einem Stacheldrahtwall vor und beginnt dann zu ächzen. Unerreichbar vorm Stacheldraht: Otello und seine Kollegen in schicken Smokings und feinen Anzügen. Die eigentlichen Strippenzieher machen sich nicht mehr die Hände schmutzig, wenn sie Elend über andere Menschen bringen. Es sei denn, Otello und seine Mannen benutzen sie als Objekte sadistischer Spielereien oder als Publikum für eine champagnerselige Siegesfeier. Bieito inszeniert das alles klar, aber ohne – wie sonst oft – die Grenzen des Erträglichen auszureizen.

Jago, ein Untergebener Otellos und bösartiger Intrigant, reicht Otello zu Beginn lediglich ein Tuch, damit er sich die blutigen Hände abwischen kann. Jago wird seinen Chef zu Fall bringen, indem er ihn glauben macht, dass dessen Frau Desdemona untreu sei. Die Hamburger Neuproduktion wartet mit einem Jago der Extraklasse auf: Claudio Sgura versprüht mit düster-geschmeidigem Bariton und starker Bühnenpräsenz eindrucksvoll Jagos Gift. In Bieitos manchmal etwas statischen Inszenierung, einer Übernahme vom Theater Basel, bleibt Jago fast durchgehend auf der Bühne – als mephistophelische Kraft, die zerstören will.

Bühnenbildnerin Susanne Gschwender hat Calixto Bieito eine triste Hafenszenerie hingestellt: Schienen und Pfützen am Boden erschweren das Gehen. Ein hoher gelber Kran bestimmt die Bühne. An ihm wird in Otellos Machtbereich ganz nebenbei ein Mann zu schönstem Chorgesang erhängt. Später wird auf dem Kran Desdemona ein letztes Mal zur Nacht beten, bevor Otello sie erwürgt. Er selbst kriecht danach bis ganz nach oben, um sich nicht selbst zu erdolchen, sondern um an einem Herzinfarkt zu sterben.

Bieito inszeniert den Otello ohne die Grenzen des Erträglichen auszureizen

Dieser vierte Akt von Verdis vorletzter, 1877 uraufgeführter Oper gehört zum Besten, was der italienische Musiktheatermagier je geschrieben hat. Wie hier musikalisch die verschiedenen Sphären aufeinander treffen – Desdemonas Todesahnung, Otellos Wahn und schließlich die Wahrheit hinter der Intrige, packt einen. Paolo Carignani am Pult des Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg hält elegant und spannungsgeladen die Fäden zusammen. Verdi hat mit seinem kongenialen Textdichter Arrigo Boito Shakespeares Drama „Otello“ verdichtet und fokussiert auf Jagos hinterhältiges Spiel. Zugleich gelang ihnen das Musterexemplar einer durchkomponierten Oper – fernab von Ariengeklingel und Humtata-Geplänkel.

Fast schon lakonisch zeichnet der erfahrene Komponist hier Charaktere und Situationen. Gut, dass das Gesangsensemble an der Staatsoper Hamburg stimmig besetzt ist. Die fordernde Titelpartie meistert Marco Berti beachtlich: So durchsetzungsfähig sein Tenor ist und für diese Partie auch sein muss – erst im vierten Akt findet er zu mehr Zwischentönen. Die Liebesszene zu Beginn der Oper bleibt recht hölzern. Auch Svetlana Aksenova als Desdemona braucht am Premierenabend etwas, bis ihr dunkel getönter Sopran frei strömt.

Der starke Chor der Staatsoper Hamburg (Leitung: Eberhard Friedrich) spielt und singt ausdrucksstark die geschundene Menschenmenge, Otello wird so auch zum Prototyp des Individuums, das in eigener Nabelschau gefangen, das Elend der anderen nicht wahrnimmt oder sogar ausnutzt.

Nächste Aufführungen am 11., 17., 20., 25. Januar und am 7. Februar in der Staatsoper Hamburg