Die CDU will jetzt ganz brav sein

Die gebeutelte Union will sich zur Mitte öffnen, Familien- und Sozialpolitik betonen. Parteisprecher hält selbst eine Koalition mit den Grünen für möglich. Doch die winken ab

Nach ihrem desaströsen Abschneiden bei der Bundestagswahl schlägt die CDU erstaunlich liberale Töne an. Die Vorstände von Abgeordnetenhausfraktion und Landesverband haben sich auf ihrer Klausurtagung im brandenburgischen Liebenwalde am Wochenende auf erste Leitlinien für die Zeit bis zur Abgeordnetenhauswahl in einem Jahr geeignet. Dazu gehört nicht nur die Ankündigung, künftig mehr auf Familien- und Sozialpolitik zu setzen und schnell einen Spitzenkandidaten zu küren. Selbst eine Koalition mit den Grünen kann sich die CDU mittlerweile vorstellen.

Der Sprecher des CDU-Landesverbands, Dirk Reitze, formuliert die Öffnung der Hauptstadt-Union so: „Die Bundestagswahl hat gezeigt, dass die politischen Stimmungen in der Bevölkerung stark im Fluss sind.“ Nur wenige Beobachter hätten sich noch vor wenigen Wochen eine ernsthafte Diskussion über eine so genannte Jamaika-Koalition vorstellen können. Ähnliches sei auch in Berlin möglich.

Solchen eindeutigen Avancen erteilt die Grünen-Fraktionschefin Sibyll Klotz eine Abfuhr. Zwar sei auch sie dafür, neue Bündnismöglichkeiten auszuloten. „Aber in Berlin sehe ich aufgrund des personellen und programmatischen Angebots der CDU nicht, wie aus einer grundsätzlichen Öffnungsmöglichkeit ein konkretes Politikangebot werden soll“, sagte Klotz. Die Charme-Offensive der Union richtet sich nicht nur an die Grünen. Das mit 22 Prozent zweitschlechteste Wahlergebnis seit 1946 bringt die Konservativen dazu, sich den „breiten gesellschaftlichen Gruppen in einer Großstadt wie Berlin zu öffnen“, wie es die Vorstände in ihrer Presseerklärung formulieren.

Auch bei der bislang eher peinlichen Suche nach einem Spitzenkandidaten für die Abgeordnetenhauswahl will die Partei jetzt Gas geben. Landeschef Ingo Schmitt hat nach langem Hin und Her ein Vier-Augen-Gespräch mit seinem Wunschkandidaten Klaus Töpfer verabredet. Doch ist unklar, ob der im Februar 2006 aus dem Amt scheidende Direktor des UN-Umweltprogramms in Nairobi überhaupt Lust hat, sich der Berliner Kommunalpolitik auszusetzen. Selbst wenn es der Union gelänge, den Ex-Bundesumweltminister als Zugpferd zu gewinnen, sehen die umschwärmten Grünen darin keinen echten Wandel. „Ein Töpfer macht noch keinen Frühling, wie eine Schwalbe noch keinen Sommer macht“, sagt Klotz.

MATTHIAS LOHRE