American Pie
: Ohne Bowl weg von der Uni

FOOTBALL Weil sie Angst haben, dass eine Verletzung ihre Profikarriere kaputtmacht, verzichten College-Footballer immer häufiger auf die traditionellen Abschlussspiele. Die Universitäten sind nicht schuldlos, dass dieser Studienabschluss fehlt.

An Silvester ist es so weit, da sollte Leonard Fourette seinen großen Auftritt haben. Der 21-Jährige wird in der Citrus Bowl, dem ehrwürdigen Stadion in Orlando, das letzte Spiel seiner glorreichen College-Football-Karriere bestreiten. Zu Zehntausenden sind die Fans der Louisiana State University (LSU) ihrem Team hinterhergereist, sie sind die 1.100 Kilometer gefahren oder vier Stunden geflogen, um am Samstag einen der besten Spieler zu verabschieden, der jemals für ihre Universität spielte, um zum letzten Mal zu sehen, wie Runningback Fournette mit dem Lederei unterm Arm geklemmt Gegenspieler umkurvt. Die Marching Bands beider Universitäten werden einen Höllenkrach veranstalten, die Cheerleader werden tanzen, und das volle Stadion wird vibrieren, wenn kurz vor 11 Uhr Ortszeit die Teams aufs Feld kommen.

Nur, der vermeintliche Hauptdarsteller wird nicht dabei sein, denn Leonard Fournette hat angekündigt, auf sein letztes Spiel lieber verzichten zu wollen. „Ich und mein Trainer haben die Entscheidung zusammen getroffen“, rechtfertigte Four­nette seinen Entschluss. „Wir glauben wirklich, es ist das Beste für mich.“ Der Hintergrund: Ende April findet in Philadelphia der NFL-Draft statt. Wenn die Profimannschaften die größten Talente unter sich aufteilen, wird Fournette mit hoher Wahrscheinlichkeit ganz vorn dabei sein. Mancher Experte erwartet sogar, dass Fournette als allererster Spieler ausgewählt wird. Das bedeutet, dass Fournette im Frühling seinen ersten Profivertrag unterschreiben wird. Diese Millionen will Fournette nicht riskieren, indem er sich ausgerechnet in seinem letzten Col­lege­spiel eine schwere Verletzung zuzieht.

Abschreckende Beispiele gibt es genug. Im vergangenen Jahr zog sich Jaylon Smith im Bowl-Spiel seines Notre-Dame-Teams einen mehrfachen Bänderriss im Knie zu. Ursprünglich als einer der besten Verteidiger im Draft eingeschätzt, wollte nun kaum noch eine Mannschaft das Risiko eingehen, darauf zu wetten, ob Smith nach seiner Knie­operation zu alter Stärke zurückfinden wird. Schließlich erbarmten sich die Dallas Cowboys und wählten Smith als 34. Spieler sogar noch früher als erwartet. Für Smith, der immer noch in der Rehabilitation steckt, bedeutete das trotzdem einen geschätzten Verlust von bis zu 20 Millionen Dollar.

Kein Wunder, dass Fournette sich mit seiner Entscheidung zwar nicht beliebt gemacht hat, aber auch nicht allein steht. Christian McCaffrey, herausragender Spieler in Stanford, sagte ebenfalls sein letztes Spiel ab. Fournette und McCaffrey sind mit ziemlicher Sicherheit nicht die Einzigen. Doch manches Nachwuchstalent lässt sich lieber krankschreiben, um der öffentlichen Kritik zu entgehen.

Die wird aber zusehends milder. Denn die das Jahr tradi­tio­nell abschließenden Bowl-Spiele verlieren an Bedeutung. Einst klebte die ganze Nation während der Feiertage und bis ins neue Jahr vor dem Fernseher, um die Rose Bowl, die Orange Bowl und die anderen traditionsreiche Spiele zu sehen – etwa die Citrus Bowl. Die Universitäten verdienten an den TV-Übertragungen, und für die Spieler war es ein stimmungsvoller Abschied vom Studium.

Dieser Mythos bröckelt aber: Es gibt immer mehr Bowl-Spiele, 41 mittlerweile, die auch noch wenig glamouröse Sponsorennamen wie Famous Idaho Potato Bowl oder Camping World Independence Bowl tragen. Wer will dafür schon ein lädiertes Knie riskieren?

Zum anderen hat der College­sportverband NCAA vor zwei Jahren ein Playoff-System eingeführt, für das sich aber nur die vier besten Collegeteams qualifizieren. Die beiden Halbfinalspiele, die auch an Silvester ausgetragen werden, und das Endspiel am 9. Januar überstrahlen nun alles andere – selbst den letzten Auftritt des künftigen NFL-Stars Leonard Fournette für die LSU Tigers. Thomas Winkler