Press-Schlag: Anpassung als Überlebenstechnik
ANALYSE RB Leipzig versteht sich auf die Kunst der Disruption. Der FC Bayern aber auch
In diesem Jahr sind ja einige Begriffe in die mediale Begriffslandschaft gekommen wie Aladin aus der Wunderlampe. Ende Oktober, verblüffenderweise im Endspurt des US-Wahlkampfs, kam die Fake News (siehe auch Hate Speech) auf die Welt und muss, geht es nach einem sehr ehrgeizigen Mann aus dem Justizministerium, sogleich mit einem eilig geschmiedeten Gesetz bekämpft werden. Der Slogan vom postfaktischen Zeitalter wurde dermaßen totgeritten und politisiert, dass man beim abermaligen Benutzen dieser Phrase ein flaues Gefühl im Magen bekommt. Ein Wörtchen, das nicht ganz so berühmt wurde wie seine großen Brüder aus dem Reich der gefühligen Lüge, ist „disruptiv“. Oder „Disruption“. Auch das war ein Quotenerfolg heuer.
Was ist damit gemeint? In einer Definition heißt es: „Eine disruptive Technologie ist eine Innovation, die eine bestehende Technologie, ein bestehendes Produkt oder eine bestehende Dienstleistung möglicherweise vollständig verdrängt. Disruptive Innovationen sind meist am unteren Ende des Marktes und in neuen Märkten zu finden.“ Was hat das nun alles mit einem Fußballkommentar zu tun? Ziemlich viel, denn die erste Fußballbundesliga hat in dieser Saison in RB Leipzig den disruptiven Klub schlechthin am Start. Er hat sich, beginnend mit unterklassigen Spielen in der Leipziger Peripherie (in Markranstädt) bis an die Spitze der Liga hochgearbeitet. RB Leipzig hat in der eigenen Stadt die Traditionsvereine Chemie und Lok locker und lässig verdrängt – und auch die anfangs breite Skepsis in der Stadt. Innovativ war es, in diesem Marktumfeld den Aufbau eines Großvereins mit allem Pipapo zu wagen.
Aber es ist noch lange nicht so, dass ein Verein wie RB Leipzig, der, was nicht immer schön und charmant ist, mit konsequent unternehmerischem Handeln nach vorne geschoben wird, die fußballerische Old Economy einfach mal überrollen und nach dem Vorbild der disruptiven Großkonzerne des Silicon Valley die Marktführerschaft in Deutschlands Ballbranche übernehmen würde. Denn da gibt es immer noch das alte Dickschiff FC Bayern München, das sich mit allen Mitteln, zum Beispiel einer beeindruckenden Kanonade, zu wehren versteht. Es geht aber auch smarter. Zur Not findet ein Prozess der taktischen Anverwandlung statt oder die Herren von der Säbener Straße wildern bei der aufmüpfigen Konkurrenz, das heißt, sie kaufen den anderen die guten Spieler weg. Das kann bei RB Leipzig geschehen, muss es aber nicht, wie wir zuletzt bei den mutmaßlichen Neuverpflichtungen Süle und Rudy (beide aus Hoffenheim) gesehen haben.
Wenn dieser Disruptions-Parvenü RB Leipzig ein hübsch nerviges Forechecking spielt, dann kann es der FC Bayern, wenn er sich konzentriert und sammelt, anscheinend immer noch besser. Wenn RB Leipzig nach Höherem strebt, dann starten Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge und Altneupräsident Uli Hoeneß mal eben ein paar kommunikative Testballons, die so hoch aufsteigen, dass sich die Leipziger den Hals verrenken. Mit einem gewissen Triumphalismus haben die Bayern nun den 3:0-Sieg über den Aufsteiger gefeiert, nach dem Motto: Den Burschen haben wir mal gezeigt, wo der Hammer hängt, nämlich an einer Wand an der Säbener Straße. So gesehen ist auch der FC Bayern im Kern disruptiv. Was nichts anderes bedeutet, als dass die Roten auf diesen Reiz aus Leipzig gewartet haben. Sie sind in höchstem Maße kompetitiv, wettkampfgeil halt. Markus Völker
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