Lügenpresse Die Medienbranche dachte, zum Überleben müsse sie den digitalen Wandel wuppen. Stattdessen muss die Akademikerarroganz von Bord gehen
: Vielleicht sind wir noch zu retten

Na? Wer sitzt hier sonst am Tisch? Im Zweifel weiße Männer, wenn man von den üblichen Redaktionen ausgeht Foto: A. Abbas/Magnum Photos/Agentur Focus

von Anne Haeming

Okay, lassen Sie uns über die Kluft sprechen. Seit drei, vier Jahren reden Medienmacher gefühlt über nichts anderes mehr. Die Kluft spaltet Sender und Empfänger: Die Absender fragen sich, ob den potenziellen Empfängern die Inhalte eigentlich wurscht sind. Auf der anderen Seite schwillt der Ärger über „die da oben“ und ihre Nachrichten an.

Das war 2016 so. Und in dem Jahr davor und dem davor auch, und 2017 wird es wieder so sein. Je näher die Bundestagswahl rückt, desto hysterischer wird der Ton werden. Man wird weiterhin hyperventilierend nach der Ursache der Kluft fahnden, sie von allen Seiten zuzuschütten versuchen.

Doch das ist gar nicht mal so leicht. Denn das Problem ist hausgemacht, es ist eng verklebt mit den gewachsenen Strukturen unserer Branche. Das muss sich erst rauswachsen. Perfiderweise ist das systemimmanente Symptom, dass die, die das Problem wahrnehmen, die Ursache gar nicht sehen können. Aber der Reihe nach.

Sie glauben es nicht

Liest man sich durch Analysen und Interviews der vergangenen Jahre, wirkt aus Sicht vieler Chefredakteure, Intendanten, Programmchefs und Redakteure die Chose weniger wie eine Kluft denn wie eine undurchlässige, aber durchsichtige Membran, die unsere Wirklichkeit durchtrennt.

Egal wie gewissenhaft und kontinuierlich Journalisten Fakten gegen Behauptungen setzen, das Mehrere-Quellen-Prinzip gegen Gerüchtemacherei: Auch 2016 reagierten die gemeinten Empfänger immer gleich, egal ob nach der Silvesternacht in Köln, ob nach Bautzen, Clausnitz oder Freiburg. Sie glaubten es nicht. Die Muster wiederholen sich, ein Heurekamoment blieb bislang aus. Die einzige Erkenntnis vieler Medienmacher: Egal wie man’s macht, macht man’s falsch.

Als nun nach der US-Wahl Anfang November das große Analysieren begann – die Ursachen des Wahlausgangs, die Rolle der Presse, die Schlussfolgerungen für deutsches Medienmachen–, äußerten sich drei deutsche Journalisten mit Rang und Namen. Und zeigten damit ungewollt die Crux unserer Branche.

Spiegel-Chefredakteur Klaus Brinkbäumer sagte im Interview mit dem NDR-Medienmagazin „Zapp“: „Haben auch wir vom Spiegel hin und wieder einen elitären Blick auf deutsche Wirklichkeit gehabt? Weil wir in Hamburg sitzen, in Berlin sitzen, in deutschen Großstädten, ist uns hin und wieder – ist jetzt ein gemeines Wort – Provinz, Kleinstädte, Sorgen, die es in Deutschland aber auch gibt, aus dem Blick geraten“, man müsse stattdessen „hingehen und drüber schreiben. Wir sind längst dabei.“

Stephan Lebert, Zeit-Redakteur, erklärte in einem Text, dass Journalisten seiner Wahrnehmung nach seit den Neunzigern Teil der Elite sein wollten, statt sie zu kontrollieren: „Es gibt auch in Deutschland in diesen Tagen eine Diskussion, ob Medien sich öffentlich bekennen sollten, dass sie zu wenig über die Vergessenen, die Verstoßenen in der Gesellschaft berichtet haben, also genau über die Menschen, die jetzt die Demokratien auf den Kopf stellen. Es ist eine wenig hilfreiche Diskussion, weil sie, wie so vieles, in Rechthaberei endet“; besser sei es, „das große Bild zu zeichnen, und natürlich auch dort, wo sich die angeblich Verstoßenen zusammenrotten“.

ZDF-Moderator Claus Kleber twitterte in seiner unnachahmlich elliptischen Art: „Bewundere d Jungen, die heute Volos gewinnen. Erasmus, Super-Examen, Edelpraktika. Nah bei de Leut? Nicht so in Mode.“

Entweder ist es Hybris oder Entfremdung oder eine Mischung aus beidem: Es ist als merkten die drei gar nicht, was sie da von sich geben. Dafür schimmert eine Haltung durch, die genau jene Membran dicker werden lässt, gegen die sie so heftig trommeln.

Brinkbäumer will seine Redakteure rausschicken in die Provinz, damit sie sich die Sorgen der Leute anschauen; Lebert diagnostiziert eine Elitengier und will Sozialreportagen über Orte, an denen „sich die vermeintlich Verstoßenen zusammenrotten“ – meine Güte, da schreibt einer mit sehr viel Abschaum vorm Mund. So sitzen also Akademiker mit anderen Akademikern in Redaktionskonferenzen und überlegen aus ihrer Akademikersicht, wie sie über die Befindlichkeiten der Nichtakademiker berichten könnten, um sie als Leser zu erreichen (laut einer Studie der FH Wien hatten 2005 69 Prozent der deutschen Journalisten eine Hochschulausbildung). Lösung: Schicken wir doch einen unserer Akademiker ins Feld, er möge sich mal umschauen unter den ungebildeten Provinzlern, ja, genau, und pack noch ein paar Expertenstimmen dazu.

Nicht der richtige Weg

Dieses Wir-steigen-mal-hinab-aus-unserem-Turm ist fatal in seiner Ignoranz. „Die Leute, über deren Intentionen wir uns so sehr den Kopf zerbrachen, waren die ganze Zeit um uns herum“, schrieb Matt Taibbi im Rolling Stone nach der US-Wahl über „die Kluft“, „und sie hörten, wie über sie gesprochen wurde wie über irgendein wildes, ungebildetes Biest.“ Sie seien „kein Zoo, in dem wir als Journalisten uns mal an einem Sonntagnachmittag umschauen“, brachte es Anne Fromm kürzlich hier in der taz auf den Punkt.

Tja, und dann wundert sich „heute journal“-Moderator Kleber, wo der hochgezüchtete Nachwuchs herkommt. Mag sein, weil er zu einer Generation gehört, für die es keine „Es war einmal“-Geschichten sind, wenn die Rede ist von jenen, die ohne Abitur, Studium, Journalistenschule einen Redak­teursjob bekamen oder zu­mindest eine Volontariatsstelle. Weil er vielleicht nicht realisiert, dass man Eltern mit genug Geld auf dem Konto haben muss, um sich Praktikumsstellen oder einen Journalistenschulenplatz in Städten wie München oder Hamburg leisten zu können.

Kurz, die Blase wird weiter gezüchtet. (Und das hier schreibt eine, die selbst im Glashaus sitzt – Vater Ingenieur, Mutter Lehrerin, erste Fremdsprache Latein, Doktortitel, also das volle bildungsbürgerliche Stereotyp.) Das kann einfach nicht funktionieren. Denn die Aufgabe von Journalismus ist, nicht nur in Berichten, Reportagen, Porträts die Diversität der Gesellschaft abzubilden – auch diejenigen, die da recherchieren und texten, müssen all diese Perspektiven abdecken. Sonst bleibt es nur ein Schreiben und Sprechen über X. Die Innenperspektive lässt sich nicht reproduzieren.

Es geht dabei um viel mehr als nur diejenigen, die unter „die Abgehängten“ subsumiert werden. Natürlich gibt es längst Ini­tia­ti­ven, die etwas gegen die Eintönigkeit setzen, seien es die Weiterbildungsangebote der Neuen Deutschen Medienmacher, das Förderprogramm namens Grenzenlos des WDR oder das taz-Panter-Volontariat, das versucht, jene zu fördern, die den mehrheitlich weißen, männlichen Redaktionen etwas anderes hinzufügen; das American Press Institute hat ein eigenes Diversity Program, und ein Ausbildungszweig der BBC ist so inklusiv, dass der „idea­le Kandidat“ Migrationshintergrund hat oder behindert ist.

„Haben auch wir einen elitären Blick auf deutsche Wirklichkeit?“

„Spiegel“-Chef Klaus Brinkbäumer

Nun mag man fragen, wieso dieser Aspekt in der Personalentwicklung bislang zu kurz gekommen ist. Ein Grund wird sein, dass die Entscheider in den vergangenen zehn bis 15 Jahren vor allem darauf fokussiert waren, diese Sache mit dem digitalen Wandel zu wuppen. Permanent auf der Suche nach einer Lösung, um den Niedergang von Print irgendwie mit digitalen Produkten aufzufangen. Personalabteilungen bastelten gar virale Recruitingvideos für den war for talent. Und dabei schienen alle jenseits der Marktforschungskategorie „18 bis 25“ aus dem Blickfeld zu rutschen: die Zielgruppen, die nun der Meinung sind, „die Medien“ deckten nicht jene Themen ab, in denen sie sich wiederfinden.

Zudem gilt Diversitymanagement oft als bloße Kür. Gerechtigkeit herstellen, tja, wie schwer das allein zwischen Männern und Frauen ist, ist hinlänglich bekannt. Dabei geht es um so viel mehr: Es ist schlicht handwerklich, inhaltlich – und damit letztlich auch wirtschaftlich – sinnvoll.

Die vielfach ausgezeichnete Spiegel-Redakteurin Özlem Gezer, die nicht zuletzt mit ihrem Scoop, dem Interview mit Kunsthändler Cornelius Gurlitt, Schlagzeilen machte, erzählte 2014 in der Branchenzeitschrift Medium Magazin Folgendes über ihre Arbeit: „Ich bin in einem Hochhaus auf dem Hamburger Kiez aufgewachsen. Bei vielen meiner Themen ist das eine Brücke ins Milieu“, die Leute vergäßen, dass sie Journalistin sei.

Mehr Empathie

Auch wenn Gezer, siehe Gurlitt, nicht auf Migrationsthemen abonniert ist, ist ihre Perspektive ein Vorteil: „Stell dir vor, etwas passiert in einer türkischen Großfamilie. Dann kannst du als Chef Reporterin Melanie hinschicken, und es kann funk­tio­nie­ren. Du kannst aber auch Özlem hinschicken. Sie klingelt, zieht die Schuhe aus, küsst der Oma die Hand, setzt sich nicht zum Papa, sondern auf die andere Seite. Es wäre dumm, auch vom Spiegel, wenn man meinen Zugang nicht nutzt“, sagte ­Gezer.„Und wenn türkische Jungs in ­ihrem Kiez erzählen, was sie nervt, wie sie von Deutschen stigmatisiert werden, dann ­packe ich auch drei Geschichten aus, weil ich ihr Gefühl kenne.“

Was so entsteht, ist Vertrauen. Ein Verstandensein, das nicht künstlich herzustellen ist. Da kann der mit „Erasmus, Super-Examen, Edel-Praktika“ ausgerüstete Reporter aus einem Akademikerhaushalt noch so empathisch recherchieren und großartig schreiben können – sein Blick ist anders, seine Wahrnehmung von Codes auch. Journalismus muss dieses Verstandensein transportieren, damit sich der Kreis der Rezipienten ändert.

Ostküstenmedienelite hier, wirtschaftlich und sozial „Abgehängte“ dort: „Diese Verbindung ist abgerissen“, sagte Brinkbäumer, aber das sei „kein Medienproblem“. Doch, das ist es. Es wird höchste Zeit, dass Redaktionen ihre Stellen vielfältiger besetzen. Bis das wirkt und die Kommunikation durch die gläserne Wand wieder funktioniert, dauert es mindestens eine Ausbildungsgeneration. Zu blöd, vor der Bundestagswahl wird das also nichts mehr.