Nur niedlich? Nein danke!

Popnachwuchs Bislang war es eher schwer, gute Musik für Kinder zu finden. Doch es ist was im Busch. Das zeigt der Milchsalon – am Samstag wird bei der Konzertreihe der CD-Sampler „Unter meinem Bett 2“ befeiert

Würden Sie diesem Mann ihre Kinder an­vertrauen? Sollte man machen: Bernd Begemann singt schließlich und moderiert am Samstag den Milchsalon Foto: Andreas Hornoff

von Susanne Messmer

Kindermusik? So manchen packt schon das kalte Grausen, der nur daran denkt.

Ringelpiez mit Anfassen, Schunkelmusik mit verstellten Stimmen, alternativ moralinsaure Lieder mit pädagogischem Mehrwert, als sei seit 1968 nichts mehr passiert: Das ist es tatsächlich, was den Interessierten zu 90 Prozent erwartet, wenn er sich etwa im Kulturkaufhaus oder Internet auf die Suche macht.

So manch ein Mensch mit Kindern soll schon aus lauter Verzweiflung selbst CDs für den Nachwuchs gebrannt haben mit Songs, die vielleicht nicht unbedingt für Kinder geschrieben wurden, aber durchaus für diese funktionieren – Songs wie „Plastikball“ von Funny van Dannen zum Beispiel oder auch „Vollmilch“ von Die Ärzte.

„Im Grunde ist auch meine Idee aus der Not heraus geboren“, sagt Patricia Parisi, die selbst drei Kinder hat, es einfach nicht mehr aushielt und 2011 beschloss, Kinderkonzerte zu organisieren, in denen man sich auch als halbwegs musikinteressierter Erwachsener wohlzufühlen schafft. Seither veranstaltet sie in ihrem Milchsalon Rock- und Popmusik an Orten, an denen Kinder normalerweise gar nichts zu suchen haben – in Clubs wie dem Roten Salon, dem Heimathafen, dem Columbia Theater oder dem Astra. Dort können die Kinder vor der Bühne tanzen, während die Erwachsenen in Ruhe an der Bar das erste Bier des noch frühen Abends trinken und mit dem Fuß mitwippen dürfen.

„Aber ist das nicht alles furchtbar? Kann man überhaupt, wenn man schon als Kind coole Konzerte sieht, später noch rebellieren?“, fragte kürzliche ein Kollege, der keine Kinder hat. Soll man deshalb den Kindern „Schnappi, das kleine Krokodil“ oder Helene Fischers Weihnachtslieder vorspielen?, lautet die korrekte Gegenfrage.

Genau aus diesem Grund buddelt Patricia Parisi unermüdlich – und ohne damit übrigens wegen der vergleichsweise niedrigen Eintrittspreise Gewinne machen zu können – jene Bands und Musiker aus, die es anders machen als die meisten Produzenten von Kindermusik in Deutschland.

Patricia Parisi bucht Bands, von denen es leider bislang eher wenige gibt. Also Bands, die gut gemachte Musik auf Augenhöhe anstreben: handgemachte Songs mit schlauen Texten, in denen es auch mal „Kacke“ und „Furz“ heißen darf, lustig, aber nicht albern – lehrreich, aber nicht moralinsauer. Songs von Musikern wie der Hamburger Band Deine Freunde, deren Sänger Schlagzeuger der Popgruppe Echt war und erst als Musiker für Kinder so richtig zu Höchstform auflief – oder wie Kai Lüftner aus Berlin, der mit seinem „Rotz ’n’ Roll Radio“ völlig zu Recht eine große und eingeschworene Fangemeinde gewinnen konnte.

Am heutigen Samstag nun lädt Patricia Parisi im Astra zu einem besonderen Milchsalon-Nachmittag: zur Record-Release-Party von „Unter meinem Bett 2“, einer Compilation mit Songs für Kinder von bekannten Bands und Musikern, die normalerweise keine Musik für Kinder machen. So haben Laing und Die Höchste Eisenbahn aus Berlin Lieder über lästige Mücken und blöde Angeber beigesteuert, Musiker wie Cäthe und Das Bo aus Hamburg Songs übers Fahrradfahren oder „Quatschmachen und Schlappmachen“ – ein Song gegen schlechte Zeiten, in denen einfach nichts so richtig zu laufen scheint. Bei all diesen Songs ist vor allem erstaunlich, wie sehr ihre Produzenten bei sich geblieben sind. Wie sehr man sie wiedererkennt. Wie wenig sie sich sprachlich verbiegen und sich zu ihrer neuen Klientel herunterbeugen, von oben herab oder auch anbiedernd – also auf Teufel komm raus niedlich oder rotzfrech.

War es eigentlich schwer, diese Musiker dazu zu überreden, mal Musik für Kinder zu machen? „Es gibt da ein echtes Imageproblem“, erzählt Francesco Wilking von Die Höchste Eisenbahn, der „Unter meinem Bett 2“ zusammengestellt hat und gerade schon an der dritten CD arbeitet. „Viele verbinden Kindermusik mit Anspruchslosigkeit und damit, dass Kinder sowieso zu allem tanzen“, erklärt er. Wilking findet, dass das nicht stimmt. Im Gegenteil: Kinder verstehen Ironie. Es macht oft nicht einmal etwas aus, wenn sie mal eine Songzeile nicht ganz verstehen. Intuitiv merken sie oft trotzdem, was gerade verhandelt wird.

Das ist ein höchst respektables Line-up, das sich am Samstag um 15 Uhr im Astra, Revaler Straße 99, zur Releaseshow von „Unter meinem Bett 2“ einfindet. Dabei werden Lisa Bassenge, Laing, Die Höchste Eisenbahn, Bernd Begemann (der den Nachmittag auch moderiert) und andere mehr die Compilation präsentieren. Eintritt: 18 Euro für die Älteren, 12 Euro für Jüngere.

Erschienen ist „Unter meinem Bett 2“ wieder bei Oetinger Audio. Weiterer Milchsalon-Termin: 12. Februar mit Randale im Columbia Theater, 11 Uhr. www.milchsalon.de

Bereits die erste, Ende 2015 erschienene CD „Unter meinem Bett“ war ein Renner. „Wir hatten das Gefühl, als brächten wir Wasser in die Wüste“, sagt Judith Kaiser vom Oetinger Verlag, wo die CDs erscheinen – jenem Verlag also, dem man von Astrid Lindgren bis Paul Maar einige der besten Kinderbücher der Welt verdankt.

Dass es mit „Unter meinem Bett“ nun weitergeht, ist ein gutes Zeichen. Man könnte direkt Hoffnung schöpfen, dass allmählich eine neue, eine richtig gute Kultur für Kindermusik entsteht.

Eine Kultur, in der Musiker sowohl Kindermusik als auch Musik für Erwachsene machen dürfen; in der Bands, die gute Kindermusik machen, es auch aus ihren Schubladen herausschaffen, Preise gewinnen oder im Feuilleton besprochen werden.

Auf dass es so in Zukunft den armen Eltern immer leichter fallen möge, in diesem Bereich richtig Gutes zu finden.