Übers Theater nach Bremen

Festival Zum fünften Mal findet in Bremen das internationale Theaterfestival „Kultur on Tour“ statt. Organisatorin Kira Petrov kam selbst als 14-Jährige aus Russland

Zu Gast in Bremen: „Die Nacht des Gel’wer“ vom Theaterstudio Parallel aus Baranovichi Foto: Kultur on Tour

von Jens Fischer

Fünf Weihnachtsbaumkugeln hängen noch an schlappen Kiefernzweigen, auf der Theke stapeln sich frisch geschmierte Weißbrotstullen, aus Russland importierte Teebeutel stehen zum Heißwasserbad bereit. Auf Russisch wird Theater gespielt und das Foyergeplauder gestaltet. Plakate verkünden in ausschließlich kyrillischer Schrift, was hier abgeht. Die Türen zur Außenwelt sind ver-, Alkoholika weggeschlossen.

Eine geschlossene Gesellschaft? Jedenfalls eine kunterbunte Jungvolk-Trubelei. Das internationale Theaterfestival „Kultur on tour“ macht richtig was los in der Schwankhalle – in Abwesenheit der theateraffinen Öffentlichkeit Bremens. Für eine Woche hat Kira Petrov die Bremer Performancebühne gemietet, „Direktor“ steht auf ihrem Festivalausweis. Aus Belarus, Litauen, Russland, Tschechien, Italien, Deutschland und der Ukraine sind sieben Jugend- und Studententheatergruppen à zehn Mitglieder geladen, die von Dutzenden ehrenamtlichen Helfern betreut werden. Auf dem Spielplan stehen Klassiker wie Shakespeares „Sturm“, „Dinner für Spinner“-Comedy, Komödien von Ostrowski und de Filippo sowie Stückentwicklungen wie „Lass uns Sex haben“, zugelassen nur für Ü18-Zuschauer.

„Ich brenne“, sagt Petrov. Discofunkelig designt glitzern ihre Fingernägel, glühend ist der sanfte Blick, warmherzig der Ton. Petrov brennt schon sehr lange fürs Theater, wollte bereits als Kind auf die Bühne und gelangte zu einiger Berühmtheit im Kulturpalast ihrer sibirischen Heimat. Inzwischen kann sie mit ihrer Liebe zur Bühnenkunst auch andere wärmen. Wie am 11. 11. 2009. Da fand sie erstmals Mitspieler in der russischen Gemeinde Bremens. Geprobt wurde fortan mit Guerilla-Taktik in Uni-Seminarräumen stets so lange, bis alle Schauspielverrückten rausgeschmissen wurden.

Anschließend ging es ins Jugendhaus Buchte oder das Hinterzimmer eines Lokals. 2014 gründete Petrov ihr nach dem ersten Probentag benanntes „Theater 11“, das in der ehemaligen Disco „Memory“ an der Faulenstraße residiert. Der Trägerverein „Integration und Kunst“ hat derzeit etwa 100 Mitglieder. Ihr erstes Kindertheaterfestival organisierte Petrov 2016 – und nun die fünfte „Kultur on tour“.

Aus 16 Bewerbern wählte eine Jury die Gäste aus. Teilnahmebedingung: Die künstlerische Arbeit soll eine mit Jugendlichen aus schwierigen Verhältnissen oder mit Geflüchteten sein. Petrov: „Wir bieten ihnen die Chance, etwas von der Welt zu sehen, Kontakte zu knüpfen und sich selbst zu präsentieren.“

Theater sei das ideale Integrationsmedium, sagt Festivalorganisatorin Kira Petrov

Finanziert wird der Veranstaltungsreigen durch das EU-Programm „Erasmus+“. Der Rest sind Spenden und Sponsorengelder. Die Festivalgäste sind in der Jugendherberge untergebracht. Den Tag über pendeln sie zwischen Aufführungen, Diskussionen und Workshops, die Grundlagen in Schauspieltechniken, Pantomime, Tanz und Choreografie vermitteln. Während der Abschlussgala am 10. Januar verteilt eine Jury undotierte Preise in neun Kategorien – etwa „Beste Bewegungslösung“, „Beste Regie“ und „Beste Nebendarstellerin“.

Theater ist für Petrov ein ideales Medium zur Integration. Dank der Möglichkeit des Einfühlens in das Leben anderer Menschen könnten Zuschauer etwas über Geflüchtete erfahren – und diese im Austausch über die Kunst ein neues Land kennenlernen, Sprache einüben und ihre Persönlichkeit ausbilden. Petrov hat es vorgemacht. Sie kam als 14-Jährige mit ihren Eltern nach Deutschland, sprach nur Russisch und hatte große Probleme, sich zu integrieren. Ihre Rettung war das Theaterstudio „Russische Schauspielkunst“, das Semjon Barkan an der Uni Bremen bis zu seinem Tod 2010 leitete. „Ohne ihn wäre ich hier kaputtgegangen“, sagt sie. Er vermittelte ihr einen Fernstudienplatz für Regie an der Moskauer Universität der Künste. An der „Academy“ der Bremer Musical Company ließ sich Petrov zudem zur Musicaldarstellerin ausbilden – spielte und sang anschließend bis zur Insolvenz des Showbetriebs im Waldau-Theater in allen Produktionen. Im „Theater 11“ ist sie nun selbst Intendantin, Betriebsdirektorin, Kostüm- sowie Bühnenbildnerin, Hausregisseurin und vielfach auch Hauptdarstellerin ihres selbst ausgebildeten Laienensembles, fast ausschließlich Menschen mit Migrationshintergrund. Gespielt wird zumeist in Deutsch. „Große Resonanz beim Bremer Publikum und Akzeptanz in der freien Theaterszene gibt es leider noch nicht“, bedauert Petrov. In Russisch bringt sie ein Kinderstück pro Jahr heraus, „damit die Kleinen die Sprache nicht vergessen“, und eine Erwachsenenproduktion für Gastspielreisen durch Osteuropa.

Drei Jahre lang lebte das „Theater 11“ von einer Start-up-Finanzierung der Aktion Mensch – nun folgt der erste Schritt zur Institutionalisierung. Die Bremer Heimstiftung hat Petrov engagiert, die frisch renovierte Aula auf dem Ellener-Hof-Gelände zu bespielen und zum Kulturzentrum auszubauen. In den kommenden Monaten würden zuerst die Kindertheaterprojekte nach Osterholz umziehen sowie all die Sprach-, Tanz-, Mal- und Bastelkurse. „Das soll ein Glanzpunkt für den Stadtteil werden“, sagt Petrov. Und wie sie brennt, besteht kein Zweifel, woher die Energie für den Glanz kommt.

Festival: www.kot-bremen.de