Als das Kino endlich die Obdachlosen entdeckte

FREI Bis Mitte der 80er schafften Obdachlose es nur über das Klischee vom armen, aber glücklichen Clochard auf die Leinwände. Das Hamburger B-Movie zeigt im Januar in der Reihe „Kalter Asphalt“ Filme, die sich ernsthaft mit Wohnungslosigkeit auseinandersetzen

Das Kino hat eines der bekanntesten Klischees über Obdachlosigkeit verbreitet: Das von armen, aber freien Clochards. In den 50ern und 60ern gab es kaum einen Film, der in Paris spielte, in dem kein philosophischer Streuner auftauchte – und irgendwie sahen sie alle aus wie Michel Simon. Aber ernsthaft hat sich das Kino lange gar nicht mit dem Thema beschäftigt. „Vogelfrei“ von Agnés Varda war 1985 der Türöffner.

Dieser Film fehlt leider in der Reihe „Kalter Asphalt“, die jetzt im Hamburger B-Movie läuft. Einige Spielfilme stehen aber in seiner Tradition. Etwa „Wendy & Lucy“ (12. und 22. 1.) von Kelly Reichardt, in dem Michelle Williams eine ähnlich lethargische, aber auch eigensinnige Streunerin zeigt, wie es Sandrine Bonnaire bei Varda war.

Einer der ersten und immer noch einer der schönsten Stummfilme ist „Side Walk Stories“ (19. 1. und 29. 1.) von Charles Lane aus dem Jahr 1989, der als eine Hommage an Charlie Chaplin konzipiert ist. Er erzählt von Obdachlosen in New York und der Regisseur spielt einen Porträtmaler, der tagsüber auf den Straßen arbeitet und nachts in Abbruchhäusern schläft.

Auch „Homme Less“ (5. 1., 15. 1., 26. 1.) von Thomas Wirthenson spielt in New York, allerdings in einem anderen Milieu. Der Protagonist Mark führt ein glamouröses Leben als Modefotograf, so sieht es jedenfalls aus. Er ist immer gut gekleidet und guter Laune. Nachts aber schläft in einer verborgenen Ecke auf einem Hausdach.

In einem seiner anarchistischen, mit wenig Geld, aber viel Frechheit gedrehten Film mit dem Titel „Neue Freiheit – Keine Jobs“ (5. 1. 12. 1., 28. 1.) spielt Herbert Achternbusch den Obdachlosen Nick. Der hatte die Idee, im Jahr 1998 wäre alles besser, wenn der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl einfach weg wäre. Zu seiner Überraschung stimmt ihm die Polizei zu und mit viel Magie wird der Kanzler tatsächlich zum Verschwinden gebracht.

Nicht über Obdachlose, sondern mit ihnen hat Rosa von Praunheim 2002 seinen Film „Kühe vom Nebel geschwängert“ (14. 1. und 26. 1.) gedreht. Mit den Darstellern des Obdachlosentheaters „Ratten 07“ spielte er Situationen durch, bei denen die Wohnungslosen in einem Schloss in Mecklenburg-Vorpommern umerzogen werden sollen. Doch sie nehmen die Schlossbesitzerin als Geisel und rufen die Selbstverwaltung aus. Auch diese Mischung aus Dokumentation und Spielfilm hat ein utopisches Ende.

Noch radikaler Spiel und Realität vermengt hat Christoph Schlingensief mit seinem Projekt „7 Tage Notruf für Deutschland“, das er 1997 in einer vom Hamburger Schauspielhaus aufgebauten Bahnhofsmission durchführte. Er verteilte Suppe und sprach mit den Menschen auf der Straße, in Peepshows und in der Kirche. Alexander Grasseck und Stefan Corinth haben die Aktion mit ihrem Film „Freund! Freund! Freund!“ (19. 1,29. 1.) dokumentiert. HIP

Filmreihe „Kalter Asphalt“: bis 31. 1., B-Movie, Brigittenstraße 5, Hamburg. Das ganze Programm gibt es auf b-movie.de