Senat will die Pille nicht zahlen

Knausern In Bremerhaven bekamen Empfängerinnen von Sozialhilfe vier Monate lange keine Verhütungsmittel bezahlt

„Sexuelle Selbstbestimmung darf nicht von der Finanzkraft einer Kommune abhängen“

Sybille Böschen, SPD

Für 396 Frauen hat die Stadt Bremen in 2016 die Kosten für Verhütungsmittel übernommen. Dies sagte Monika Börding, Geschäftsführerin der Beratungseinrichtung Pro Familia, der taz. Sie bearbeitet im Auftrag der Stadt die Anträge auf Kostenübernahme. Erst seit Juli gibt es dieses Angebot für Frauen, die von staatlicher Unterstützung leben. Zuvor war dies nur für einen kleinen Kreis in besonders schwierigen Lebenslagen möglich.

2014 bekamen nur 16 Frauen, im vergangenen Jahr 48 Frauen die Kosten für die Pille und die Spirale erstattet. Davor – seit einer Bundesgesetzesänderung im Jahr 2004 – mussten Frauen über 20 Jahren das Geld für Verhütungsmittel aus den Hartz-IV-Sätzen abzwacken. Zum Vergleich: 17 Euro des Regelsatzes sind monatlich für Gesundheitsfürsorge vorgesehen, eine Pillenmonatspackung kostet zwischen acht und 20 Euro.

Jahrelang wiesen Beratungsstellen wie Pro Familia darauf hin, dass sie in vielen Gesprächen über ungewollte Schwangerschaften hörten, dass sich Frauen eine regelmäßige Verhütung nicht leisten können. Kleinere, nicht-repräsentative Studien bestätigten dies.

Während andere Kommunen, darunter Bremerhaven, auf die Hilferufe reagierten, argumentierte die Stadt Bremen bis vor einem Jahr, dass dies nicht auf kommunaler, sondern auf Bundesebene gelöst werden müsse: Mit einer deutlichen Anhebung der Hartz-IV-Regelsätze.

Jetzt hingegen dreht das Land die Argumentation um: Solange der Bund nicht einspringe, müssten dies eben die Kommunen tun. Der Kurswechsel ist eine Absage an Bremerhavener SPD-Frauen, die wegen des steigenden Bedarfs an Kostenübernahme am Montag eine Beteiligung des Landes verlangten. „Die sexuelle Selbstbestimmung einer Frau darf doch nicht von der Finanzkraft einer Kommune abhängen“, sagte Sybille Böschen, stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion im Bremer Landtag.

Bremen zahle Bremerhaven einen kommunalen Finanzausgleich, in dem berücksichtigt sei, dass dort überdurchschnittlich viele Menschen von staatlichen Transferleistungen leben, antwortete darauf Bernd Schneider, Sprecher von Sozialsenatorin Anja Stahmann (Grüne).

Vier Monate lang konnte die Bremerhavener Beratungsstelle Pro Familia jungen Frauen zwischen 20 und 27 nicht wie bisher die Kosten für Verhütungsmittel erstatten, jetzt hat der rot-schwarze Magistrat der Stadt vergangene Woche noch einmal 8.500 Euro zur Verfügung gestellt. Doch für 2017 müsse das Land einspringen, sagt Böschen: „Frauen in schwierigen Lebenssituationen dürfen nicht zu Opfern von Schwarze-Peter-Spielereien werden.“

In Bremerhaven nahmen in diesem Jahr 69 Frauen das Angebot in Anspruch, dies kostete rund 8.500 Euro. In der Stadt Bremen gab die Kommune bisher 43.000 Euro für Verhütungsmittel aus. Die meisten würden sich eine Drei- oder Sechsmonatspackung der Pille verschreiben lassen, sagt Monika Börding von Pro Familia. In Bremerhaven hätten sich ÄrztInnen darauf verständigt, 120 Euro für das Einsetzen einer Spirale, die bis zu fünf Jahre hält, zu berechnen. In Bremen seien es zwischen 100 und 190 Euro.

Die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche hat in Bremen gegen den Bundestrend im dritten Quartal abgenommen und ist niedriger als im Vorjahreszeitraum – ebenfalls gegen den Bundestrend. Börding sagt jedoch, es sei zu früh, um beurteilen zu können, ob es einen Zusammenhang zu dem Verhütungsmittelprojekt gebe. eib