piwik no script img

Kaff mit Ambition

Schneesport Die Biathleten laufen wieder in Oberhof. Der Ort hat eine lange Wintersporttradition. Eine der spektakulärsten Disziplinen: das Versenken von Steuermillionen

Verwahrloste DDR-Noblesse: „Waltershausen“, das ehemalige Erholungsheim des Ministerrats Foto: Thomas Purschke

aus oberhof Thomas Purschke

Das Wintersportzentrum Oberhof im Thüringer Wald, wo gerade der Biathlon-Weltcupzirkus Station macht, kann auf eine lange Tradition zurückblicken. Mit der Eröffnung der Eisenbahnlinie 1884 entwickelte sich Oberhof zu einem der bedeutendsten Höhenluftkurorte in Deutschland. Im selben Jahr soll der erste Skiläufer gesichtet worden sein. Bereits 1905 gab es hier die ersten Skilaufwettbewerbe. Oberhof gilt zudem als Wiege des Bobsports in Deutschland.

Prinzen und Herzöge sausten in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg auf dem Bobschlitten die Wadeberg-Natureisbahn hin­ab. Kaiser Wilhelm II. besuchte den Ort, und auch die Filmdiva ­Marlene Dietrich schlenderte mit ihrem Töchterchen durch frischen Pulverschnee in Oberhof, wie erhalten gebliebene Fotos belegen. Im Februar 1931 gab es hier Weltmeisterschaften im Zweierbob und Wettkämpfe des Internationalen Skiverbandes, die eine Vorprüfung für die Olympischen Winterspiele 1932 in Lake Placid darstellten.

Einen eklatanten Bruch gab es dann nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Nach der Gründung der DDR im Jahr 1949 entwickelte sich Oberhof Schritt für Schritt zu einem sozialistischen Erholungs- und Wintersportzentrum der Werktätigen.

Mehr als 50 bürgerliche Familien wurden zwangsausgesiedelt, Häuser enteignet, Jugendstilvillen abgerissen und durch Beton-Zweckbauten ersetzt. Dafür mitverantwortlich war SED-Spitzenfunktionär Walter Ulbricht, der 1960 Staatsratsvorsitzender wurde und den Ausbau von Oberhof stark forcierte.

Nachdem die Grenze zu Westdeutschland zu war, wurden die Wintersporturlauber in die schneesicheren Mittelgebirge nach Oberhof oder Oberwiesenthal im Erzgebirge gelotst. Der gebürtige Leipziger Ulbricht hatte ein Faible für den Thüringer Wald und war ein begeisterter Wintersportler, wenngleich ihm die Motorik fehlte. Mit seiner zweiten Frau, Lotte, pirschte der „Spitzbart“ des Öfteren auf Skiern durch das Oberhofer Revier, getreu seinem Motto: „Jedermann an jedem Ort, einmal in der Woche Sport!“

Entsprechend bevorzugt flossen die Mittel für neue Bauten und beste Straßen nach Oberhof und die engere Umgebung. Staatschef Ulbricht hatte ein eigenes Urlaubsdomizil errichten lassen, das unter seiner Ägide und danach bis zum Mauerfall 1989 stets gut bewachte Ferienheim des DDR-Ministerrats – im Volksmund als „Waltershausen“ bezeichnet. Es liegt versteckt im Wald, nahe der Bob- und Rodelbahn und war für damalige Verhältnisse sehr luxuriös ausgestattet. Selbst ein eigenes Wasserwerk und eine monströse Stromerzeugungsanlage gehörten zur Ausstattung.

Das vier Stockwerke umfassende Objekt ist schon seit Jahren völlig verkommen, keine einzige Fensterscheibe ist ganz geblieben, eine durch Vandalen verwüstete Ruine, für die sich kein Käufer findet. In Stasi-Unterlagen sind präzise Vermerke zu finden, dass sich einst auch attraktive Damen unter den Angestellten des Ferienheims befanden, die dem Ministerium für Staatssicherheit bei ihren Überwachungen vor der Einstellung als sogenannte HWG-Personen – mit „häufig wechselndem Geschlechtsverkehr“ – bekannt geworden waren.

Nach der friedlichen Revolution wollte ein gewiefter Geschäftsmann aus der Schweiz die architektonisch langweilige Ex-Ministerratsherberge als nobles Touristenhotel mit Gourmet-Restaurant vermarkten. Mit dem besonders sinnigen Werbeslogan „Eine Nacht in Ulbrichts Bett“ konnte sich allerdings nach dem Untergang des Arbeiter- und-Bauern-Staates kaum jemand anfreunden. Der Eidgenosse machte sich schnell wieder aus dem Staub. Eigentümer der Immobilie war danach eine Schweizer Bank.

In den 1960er Jahren ließ Ulbricht, der bereits 1949 die große Propagandawirkung des Sports bei den ersten Wintersportmeisterschaften in der Sowjetischen Besatzungszone in Oberhof erkannt hatte, unter anderem die 120-Meter-Großschanze im Kanzlergrund errichten, 1971 kam eine teure Kunsteisbahn für Rennschlitten- und Bobfahrer hinzu.

Zum 20. Jahrestag der DDR eröffnete 1969 das weithin sichtbare Interhotel Panorama. Ein 900-Betten-Bunker, der im architektonischen Stil von zwei gegenläufigen Sprungschanzen aus dem Boden gestampft wurde. Mehrere Zimmer benutzte ausschließlich die Stasi als Diensträume. Aus den Stasi-Akten geht hervor, dass sich zahlreiche DDR-Agenten mit ihren Führungsoffizieren dort getroffen haben. Ohnehin hatte Oberhof in Relation zur Einwohnerzahl mit die höchste Stasi-Spitzeldichte in der DDR. Das Hotel Panorama gibt es heute noch, und trotz einiger Renovierungen versprüht es immer noch den trostlosen Charme der DDR.

Biathlon wird in Oberhof seit 1958 betrieben. Es ist eine Sportart mit langjähriger militärischer Tradition, bis 1976 noch mit schweren Großkaliberwaffen. Nach dem ersten Olympiasieg eines Deutschen 1980 im Biathlon, wo der für den Armeesportklub Oberhof startende Frank Ullrich in Lake Placid über 10 Kilometer Gold gewann, entdeckten die DDR-Oberen das Medaillenpotenzial.

Der damalige Verteidigungsminister Heinz Hoffmann forcierte den Ausbau des Biathlons. Im Frühjahr 1981 rückten Pioniertruppen der DDR-Volksarmee in Oberhof an. Unweit des Armeesportklubs wurden viele Bäume gefällt, gewaltige Erdvolumen abgetragen, Felsen gesprengt. Innerhalb von eineinhalb Jahren wurde ein neues Biathlonstadion mit Schießstand errichtet und eine bitumierte Straße mit Beleuchtung, die zum Skirollertraining in der schneefreien Zeit genutzt wurde. Geld spielte keine Rolle, da es ein sogenanntes Projekt der Landesverteidigung war und für die Militärs besonders prestigeträchtig.

In Oberhof herrschte gemessen an der Bevölkerungszahl die höchste Stasi-Spitzel-Dichte der DDR

Der Biathlon-Schießstand von Oberhof zählte 1983 zu den modernsten Anlagen in der Welt. Ein neu entwickeltes Unterspanner-Biathlon-Gewehr aus der benachbarten Stadt Suhl verkürzte die Ladezeit für die DDR-Athleten erheblich. Die Kaderschmiede Oberhof mit ihrer gewaltigen Infrastruktur an Sportstätten hatte zu diesem Zeitpunkt die anderen Wintersportzentren in Oberwiesenthal, Altenberg/Zinnwald und Klingenthal längst hinter sich gelassen. 1984 fand dann der erste Biathlon-Weltcup in Oberhof statt.

Auch nach der Wiedervereinigung 1990 ist Oberhof ein Zentrum für Spitzensportler geblieben. Der gesamtdeutsche Sport wollte die Ressourcen weiterhin nutzen. 15 Millionen Euro gab es an Fördermitteln für die Renovierung der Bob- und Rodelbahn. Über 18 Millionen Euro flossen bis heute in ein neues Biathlon-Stadion, wo 2004 eine Biathlon-WM stattfand.

Neue Skisprungschanzen verschlangen über 20 Millionen Euro. Für die Skilangläufer und Biathleten wurde im Jahr 2009 für über 16 Millionen Euro eine überdachte Skihalle gebaut, in der sie ganzjährig trainieren können. Insgesamt mehr als 170 Millionen Euro erhielt die Kommune im Thüringer Wald seit 1990 an Subventionen für gewaltig dimensionierte Sportstätten und überaus fragwürdige Tourismusprojekte.

Zwanzig Olympiasieger im Biathlon, Rennschlitten, Bob, Skilanglauf und Skispringen hat der 1.600 Einwohner zählende Ort nach 1990 hervorgebracht, aber zu wahrer Meisterschaft hat er es definitiv im Abkassieren und im Schuldenmachen gebracht. Beispiel für die Großmannssucht ist auch die Rennsteig-Therme, ein 17 Millionen Euro teures Spaßbad, das 1996 eröffnet wurde. Anfangs gab es genug Besucher, doch dann bauten die Nachbargemeinden mit Landessubventionen eigene Freizeitbäder. Die Gästezahl in Oberhof ging erheblich zurück, aber die enormen Betriebskosten blieben. 2008 schloss das Bad. Wieder sprang das Land Thüringen ein. 9 Millionen Euro machte die Regierung in Erfurt für die Renovierung der Therme locker. 2014 wurde sie unter neuem Namen H2Oberhof neu eröffnet. Die Betriebskostendefizite sind immer noch erheblich.

Mehrfach ermittelte die Erfurter Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Korruption gegen Politiker, Unternehmer und Funktionäre in der Gemeinde und des Landes. Das Amtsgericht Meiningen verurteilte Bürgermeister Thomas Schulz 2011 wegen Untreue und Steuerhinterziehung zu einer Geldstrafe von knapp 9.000 Euro. Die Geschichte von Oberhof zeigt, wie Steuergelder in Millionenhöhe versenkt wurden, obwohl der kleine Ort nie der Touristenmagnet wurde, zu dem ihn all die Investitionen machen sollten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen