MIT ZWEI KARTÖFFELCHEN AUF DER NPD-KUNDGEBUNG
: Schrecksekunde am peacigen Samstagvormittag

VON DIRK KNIPPHALS

Neulich waren die Nazis da. Samstagvormittag in Schöneberg, Brötchenholen ist mein Privileg. Beim Hinweg zum Biobäcker fragte ich mich noch, was die vielen Polizisten am Kaiser-Wilhelm-Platz denn so wollen. Beim Rückweg mit zwei Kartöffelchen sowie Mohn-, Sonnenblumen- und Franzbrötchen wusste ich es. Ein weißer 7,5-Tonner, auf dem „NPD“ stand, parkte am Seitenrand. Ein Dutzend Leute baute die Mikroanlage auf. Und ich hatte Anlass festzustellen: Mit einer Bio-Company-Recyclingpapiertüte unterm Arm ganz harmlos nach Hause schlendernd, fühlt man bei so einem Überfall besonders tiefe Empörung.

Längst vorbei die Zeiten, in denen man als links-alternativer Mensch den öffentlichen Raum prinzipiell als, nun ja, zwar nicht richtiggehend feindlich, aber doch als fremd empfand. „Die Menschen in den Straßen/ benehmen sich wie Vieh/ …/ Wohin mit dem Hass“, sang vor einiger Zeit Jochen Distelmeyer mit seiner Band Blumfeld. Aber das konnte man, wenn man sich das in seinem Wohnzimmer anhörte und dabei auf die Straße guckte, im Grunde gar nicht mehr nachvollziehen. Klar gibt es seltsame Menschen da draußen. Klar gibt es Konflikte und Aggressionen. Aber da, wo ich wohne, sind das Peacige und Entspannte doch hegemonial. Und Gewalt ist nicht mehr normal.

Offenbar hat es kürzlich bei mir um die Ecke eine Familientragödie gegeben, seitdem ist der Hauseingang mit Kerzen, Blumen und Briefen vollgestellt. Und wenn man von Gewalttaten in der Umgebung hört, ist der erste Gedanke nicht: Es wird immer schlimmer, ich muss hier weg, sondern: Da braucht es offenbar noch ein paar mehr Streetworker und Integrationsangebote. Dass sich Menschen wie Vieh benehmen, darauf würde man hier in solcher Apodiktik niemals mehr kommen.

Auch die symbolische Gewalt, mit der die NPD ihre Kundgebung durchzog, ist nicht mehr normal gewesen. Man merkte das an der eigenen Schrecksekunde, man war halt nicht drauf eingestellt. Wie in Feindesland zogen die NPDler zehn Minuten ihre hastig herausgebellten Statements durch. Doch dann hatte sich die Gegenkundgebung schon spontan formiert: Trillerpfeifen. Lehrerinnen, die „Nazis raus“ skandierten. Bis ich meine Brötchentüte zu Hause abgegeben, schnell einen Kapuzenpulli übergezogen hatte und wieder auf dem Platz war, war längst wieder klar, wer hier das Sagen hatte. Die NPDler jedenfalls nicht, und das hatten sie auch gar nicht erwartet. Der schnelle Rückzug gehörte zu ihrer Überrumpelungstaktik.

Es ist wirklich eine gute Gegend.