piwik no script img

Flugtanz Die Voladores in Mexiko vollführen ein spektakuläres Ritual: Um eine reiche Ernte zu erbitten, umkreisen sie kopfüber hängend einen bis zu 40 Meter hohen Baumstamm. Eine Fotogeschichte aus Mexiko von Kike ArnalWaghalsige Himmelsstürmer

Miguel Angel Ramiro Carmona, Flugtänzer aus dem Dorf Xiloxochico

Interview Edith Kresta

privat
Kike Arnal

Er ist in Venezuela ge­boren, lebt in Kalifornien und arbeitet seit 20 Jahren als Dokumentarfotograf. Sein Interesse gilt Menschen, die aus ethnischen, kulturellen oder persönlichen Gründen am Rande der Gesellschaft leben. Zahlreiche Ausstellungen und Veröffentlichungen, darunter auch „Voladores“ (Meristemo, 2014).

taz: Mexiko ist erzkatholisch, aber das Ritual der Flugtänzer hat sich bis heute erhalten. Wo findet man es noch?

Kike Arnal: Der Flugtanz war ein Ritual in ganz Mittelamerika, bevor die Spanier kamen. Was vor rund 1.500 Jahren als Fruchtbarkeitsritual begann, wird heute noch in einigen Regionen praktiziert: bei den Totonaken im Staat Veracruz, bei den Náhuatl in der Sierra Norte de Puebla und bei den Otomíes im Zentrum von Mexiko.

In dem Dorf Altantongo beten die Tänzer vor dem Aufstieg zum Schutzheiligen und der Jungfrau

Was bedeutet das Ritual?

Zuschauer vor der Kirche von Altantongo beobachten den Flug für die Götter

Es gibt viele Interpretationen, aber man ist sich einig, dass es ein Tanz für die Götter ist, um für Fruchtbarkeit zu bitten. Mit der Ankunft der Spanier in Amerika überlebte der Tanz als synkretischer Rest in den katholischen Feiern.

In Aktion: Flugtänzer von San Antonio Rayón

Ist der Tanz heute tatsächlich noch lebendige Tradition oder Touristenspektakel?

Doroteo Manzano Cuamayt und sein vier Jahre alte Sohn, der jüngste Tänzer von der Sierra de Puebla

Es kommt darauf an, wo der Tanz aufgeführt wird. In den abgelegenen Dörfern und Gemeinden in den Bergen ist der Tanz noch eine lebendige Tradition. Dort findet er während der religiösen Feste oder zu Ehren der regionalen Heiligen statt. In größeren Orten wie Puebla oder Veracruz hat sich der Tanz zu einem Parallelspektakel während der Feste entwickelt. In einigen Fällen wurde er zum Touristenspektakel, zum Beispiel in Papantla, Cancún und Mexiko-Stadt. Eine Darstellung indigener Kultur, fern vom eigentlichen Ritual.

Mädchen und Frauen beobachten die Flugtänzer in der Kirche vor dem Ritual
Kinder in Chila de Juárez tanzen vom Himmel herab, während ihr Lehrer im Flug trommelt und die Flöte spielt

Wie funktioniert das Ritual?

Der Ablauf ist immer der gleiche: Fünf Männer klettern auf einen 18 bis 40 Meter hohen Pfahl. Einer beginnt auf einer Flöte zu spielen oder zu trommeln, die vier anderen wickeln sich Seile um den Bauch und lassen sich, um den Pfahl rotierend, zur Erde herunter. Das Spektakel symbolisiert Sonne und Wind. Tänzer und Zuschauer feiern die Geburt des Universums und bitten die alten Götter um Fruchtbarkeit.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen