Tim Caspar Boehme Leuchten der Menschheit
: Der Wolf – nutzlos und gefürchtet

Eine Frau, die sich einem Wolf annähert: Solch eine Tier-Mensch-Konstellation, wie sie Nicolette Krebitz in ihrem Film „Wild“ mit echten Tieren allegorisch durchspielt, wäre vor hundert Jahren nur wenigen Künstlern in den Sinn gekommen. Nicht, dass diese Begegnung heute nichts Irritierendes hätte – im Gegenteil –, doch gibt es einen entscheidenden Unterschied: Seit kurzer Zeit erst leben hierzulande wieder vermehrt Wölfe, die sich auch als Filmdarsteller anbieten.

Bei vielen Lebewesen stellt sich die Frage, wie lange es sie noch geben wird. Bei den Wölfen hingegen möchte man fragen, wie es sie überhaupt noch geben kann. Das einst am weitesten verbreitete Säugetier der Erde wurde über Jahrtausende konsequent verfolgt, gilt in vielen Ländern als ausgerottet. In Petra Ahnes Buch „Wölfe. Ein Portrait“ (Matthes & Seitz 2016) geht es um diese einseitige Beziehung des Menschen zum Wolf. Erst seit internationale Konventionen wie das Washingtoner Artenschutzübereinkommen von 1973 auch Wölfe unter Schutz stellen und ihre Jagd verbieten, konnte der Canis lupus in Europa erneut Fuß fassen. Ahne zeichnet die Geschichte der Verfolgung des Wolfs nach, erzählt, wie er zu einem „bösen Tier“ gemacht wurde – in Märchen wie „Rotkäppchen“ oder früheren Werwolfsprozessen – und wie er mit beträchtlichem Aufwand schließlich einen Platz neben anderen schutzbedürftigen Tierarten zugewiesen bekam.

Interessant ist auch zu lesen, dass die Hunde, die als Haustiere in ihrer Gesamtheit vom Wolf abstammen, gern ideologisch in Stellung gegen ihre nichtdomestizierten Vorfahren gebracht wurden, von Alfred Brehm bis zum Nationalsozialismus – in der Regel zum Nachteil des Wolfs. Der menschliche Argwohn gegen Letztere dürfte dabei weniger mit der Fremdartigkeit des Wolfs zu tun haben als mit der geringen Differenz zum Hund. Was sich vermeintlich nicht kontrollieren lässt, wild bleibt, wird eben ausgegrenzt.

Der Autor ist Filmredakteur der taz Foto: privat