piwik no script img

Differenzieren ist schwierig

Kommentar

von Alke Wierth

Flüchtlinge als mutmaßliche Straftäter

Wenn Menschen deutscher Herkunft Straftaten begehen, können wir Einheimischen sehr genau differenzieren. Niemand würde etwa auf die Idee kommen, „den Deutschen“ kollektiv ihren Nachwuchs wegzunehmen, wenn Eltern ihre Kinder brutal misshandeln – oder das gar auf deren Glauben zurückzuführen. Und brüllen Deutsche Naziparolen vor Flüchtlingsheimen oder zünden diese gar an, wissen wir, dass es sich dabei nur um eine Minderheit handelt. Viele andere Deutsche helfen Geflüchteten.

Bei straffälligen Einwanderern ist das mit dem Differenzieren scheinbar schwieriger. Misshandelt etwa ein türkischstämmiger Muslim seine Ehefrau, vermutet die öffentliche Meinung dahinter gern Gründe aus „Kultur“ oder „Religion“ – und blendet dabei offenbar völlig problemlos aus, dass es häusliche Gewalt und Fluchthäuser für Frauen in Deutschland schon vor muslimischen/türkischen/arabischen Einwanderern gab.

Sind gar Geflüchtete Täter, dient das vielen als Beweis dafür, dass diese eh nur mit bösen Absichten hierherkommen.

Die sieben jungen Männer, die im U-Bahnhof Schönleinstraße versucht haben sollen, einen Obdachlosen in Brand zu stecken, sind Asylbewerber. Die Tat, die ihnen vorgeworfen wird, ist unfassbar grausam. Doch über „die Flüchtlinge“ sagt uns das: nichts.

Unter ihnen sind – wie unter allen Menschen – Gute und Böse, Ehrliche und Kriminelle, Dumme und Kluge, Gottlose und Gottesfürchtige. Wer das jetzt ausblendet und pauschal nach mehr Abschiebungen ruft, differenziert mit Absicht nicht.

Und wer jetzt argumentiert, dass diese jungen Männer vermutlich selbst viel Gewalt erlebt haben, Krieg, Verfolgung, staatliche Brutalität, und dass sie – insbesondere unbegleitete Minderjährige – hier nicht ausreichend betreut, sondern mit ihren schrecklichen Erfahrungen alleingelassen werden, hat damit zwar vollkommen recht.

Doch ist das vielleicht eine Erklärung für brutales Verhalten. Eine Entschuldigung – auch das gilt für alle Menschen – ist es aber nicht.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen