Anja Maier über Reizwörter in der Politik
: Niveau-Limbo der Union

Da ist sie wieder, die „Leitkultur“. Und, Überraschung: Sie ist noch immer ein komplett untaugliches Wort. Nach den CDU-Politikern Friedrich Merz und Norbert Lammert, die während der nuller Jahre versucht hatten, die „Leitkultur“ als politischen Kampfbegriff gegen die „multikulturelle Gesellschaft“ zu installieren, gibt es am Ende des Jahres 2016 einen neuen Anlauf. Diesmal ist Annegret Kramp-Karrenbauer am Start.

Die saarländische Ministerpräsidentin findet, es sei ein Fehler der CDU gewesen, „dass wir uns vor einigen Jahren bei der Debatte um die Leitkultur so den Schneid haben abkaufen lassen“. Die Gesellschaft müsse endlich wieder diskutieren, was sie ausmacht und wie ihre Regeln lauten.

„AKK“ (wie sie in der Union genannt wird) ist damit voll auf Linie. Im gerade erst vom Parteitag beschlossenen Leitantrag ist auf Seite 9 von einer „Leitkultur“ als „einigendem Band“ die Rede, „das diejenigen miteinander verbindet, die in ein und demselben Land leben und eine Schicksalsgemeinschaft sind“. Sprachlich martialischer und auf ungute Weise rückwärtsgewandter hat es die CDU wohl nicht.

Die Partei der Mitte, als die sie sich in Zeiten politischer Machtfülle verstanden hat, vollzieht mit ihren neuen Begrifflichkeiten eine stramme Rechtskurve. Mag sein, dass es dieser Gesellschaft gut tun könnte, sich auf Verbindendes zu besinnen. Die CDU jedoch geht mit ihrer „Leitkultur“-Debatte eben nicht auf jene zu, die sie zu meinen vorgibt: auf Menschen mit Flucht- und Migrationserfahrungen. Im Gegenteil, die Merkel-Partei biedert sich damit bei Rechtspopulisten an, die meinen, gesellschaftliche Debatten bestünden einzig aus Ansagen an gesellschaftliche Minderheiten.

Gut möglich also, dass sich CDU und CSU im Wahljahr eine Art Niveau-Limbo mit der AfD liefern. Das kann nur schiefgehen. So tief, wie die Rechtspopulisten zu sinken bereit sind, können die Unions-Parteien gar nicht fallen.

Inland