In der Weihnachtszeit steht man nicht gern in der Post an, Aber vielleicht macht dem Zusteller sein Job auch keinen Spaß
: Weihnachtliche Lasten

Foto: Lou Probsthayn

Fremd und befremdlich

KATRIN SEDDIG

Ich hab heut das Paket abgeschickt“, sagt meine Mutter am Telefon. Sie ruft immer sofort an, wenn sie ein Paket verschickt hat, damit wir darüber unterrichtet sind. „Schön“, sage ich, und hoffe sehr, dass irgendjemand in meinem Haus dieses Paket annimmt, weil ich sonst zur Post gehen und dieses meist recht schwere und große Paket abholen und nach Hause schleppen muss.

Meine Mutter verschickt Kuchen und Gebäck, Marmelade und Likör. Früher hat sie auch eingefrorene Enten und Kaninchen verschickt. In der Weihnachtszeit steht man jedenfalls nicht gern in der Post an, aber gerade in der Weihnachtszeit stehe ich immer in der Post an, weil ich selbst in der Weihnachtszeit Pakete verschicke.

Das war schon immer so, dass in dieser Zeit besonders viel verschickt wurde, aber noch nie wurde so viel verschickt wie jetzt, weil die Leute auch noch bestellen. Im Internet lässt sich sehr viel besser und bequemer einkaufen als in der überfüllten vorweihnachtlichen Innenstadt. Die überfüllte, vorweihnachtliche Innenstadt ist auch mir ein Graus. Aber das Bestellen habe ich in diesem Jahr gelassen. Das Bestellen ist nur bequem für mich auf Kosten anderer Menschen.

Im Erdgeschoss meines Hauses befindet sich ein kleiner Verein, der hat mein Weihnachtspaket angenommen. Es lag auf einem riesigen Stapel anderer Pakete. Die meisten von einem, der ein mittelgroßes Ebay-Geschäft betreibt, auch auf Kosten dieses kleinen Vereins, der sämtliche Lieferungen dieses Menschen annimmt, netterweise. Jeden Tag nehmen die Mitarbeiter dieses Vereins die Bestellungen unseres Hauses entgegen.

„Es ist so, so nett von Ihnen“, sage ich und blicke schuldbewusst auf den Stapel der anderen Pakete der üblichen Versandhausunternehmen. Die Frau lächelt: „Wir sollten ein Geschäft draus machen.“ Machen sie aber nicht. Sie übernehmen diese tägliche Dienstleistung für umsonst. Wer keinen solchen netten Verein im Erdgeschoss hat, der hasst Zusteller. Kaum jemand wird in diesen versandträchtigen Zeiten mehr gehasst als Paketzusteller. Paketzusteller geben die Pakete nicht ab, obwohl man da war, sie geben sie falsch ab oder sie versuchen erst gar nicht, sie abzugeben.

Und manchmal ist die Lieferung auch einfach weg. Das liegt daran, dass Paketzusteller dumm und bösartig sind. In sozialen Netzwerken kann man sehr viel darüber lesen. In Schleswig-Holstein werden jetzt in der Vorweihnachtszeit pro Tag 260.000 Sendungen zugestellt, meldet der NDR. So viele Zustellungen hat es noch nie, zu keiner Zeit, gegeben. Um dieses Aufkommen zu bewältigen, werden zusätzlich Saisonkräfte eingestellt. Aber viele Paketzusteller arbeiten sowieso für einen Mindestlohn, weil sie für Subunternehmen arbeiten. GLS, DPD, Hermes arbeiten hauptsächlich mit Subunternehmen. Das ist bequem und minimiert die Kosten. Man muss sich nicht mit der Gewerkschaft herumschlagen. Die Zusteller können zudem ihr Tagespensum oft kaum schaffen und dann arbeiten sie halt ein bisschen mehr als acht Stunden.

Wenn einem der Zusteller nacheinander drei große Kartons mit Druckerpapier die Treppen hochgeschleppt hat, könnte man einmal kurz darüber nachdenken, dass er das vielleicht für den Mindestlohn tut.

Vielleicht ist er deshalb ein bisschen missgelaunt, vielleicht kann er die Leute nicht leiden, die sich täglich Sachen nach Hause bestellen, obwohl sie täglich gar nicht zu Hause sind. Vielleicht macht es ihm auch keinen Spaß, zweihundertmal am Tag fremde Leute um etwas zu bitten, nämlich die Pakete anderer fremder Leute anzunehmen.

Vielleicht ist das sogar normal und gesund, wenn ein Paketzusteller so empfindet, vielleicht liegt der Fehler gar nicht bei ihm, sondern im System. Und vielleicht etwa sogar bei uns?

Katrin Seddig ist Schriftstellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Eine Nacht und alles“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.