Für die Randgruppe der Icke-Berliner

Rock „Zusammen sind wir weniger allein“, meinen schwer berlinernde Haudegen in ihrer ersten offiziellen Bandbiografie

Von Deutschrap zu Deutschrock ist es dann doch kein so langer Weg. Hagen Stoll und Sven Gillert, die sich als Rapper noch Joe Rilla und Tyron Berlin nannten, haben das gezeigt. Seit sechs Jahren bilden die beiden zusammen das Duo Haudegen, statt Beats gibt es bei ihnen jetzt schwere Metalgitarren und in den Balladen auch mal was von der Wanderklampfe, und statt Sprechgesang wird mit viel Inbrunst frei von der Leber weg gesungen. Selbst erklärtes Vorbild der Männer mit Türsteher-Physiognomien: Klaus Lage.

Mit enormem Erfolg mimen die beiden zwei Fürsprecher für die Unterprivilegierten und Zukurzgekommenen in diesem Land. Beide sind im Berliner Problembezirk Marzahn groß geworden, haben bunte Karrieren als Hooligans hinter sich und singen nun für diejenigen, die es wie sie selbst nicht immer ganz leicht hatten im Leben.

Ihr aktuelles Album, das flankiert wird von der Veröffentlichung ihrer ersten offiziellen Bandbiografie mit dem Titel „Zusammen sind wir weniger allein“, macht sich erneut für eine Randgruppe stark, deren trauriges Schicksal viel zu selten beachtet wird: die letzten echten berlinernden Icke-Berliner. Berlinern ist in dieser Stadt der Zugezogenen bekanntlich noch ungefähr so angesagt wie Berliner Weiße mit Schuss, und wenn man dann tatsächlich außerhalb eines „Didi & Stulle“-Comics von Fil oder dem Stadion von Union Berlin doch einmal auf jemanden stößt, der wirklich berlinert, dann ist das im Normalfall ein schlecht gelaunter Busfahrer.

Mit ihren „Altberliner Liedern“ versuchen Haudegen nun, etwas gegen diesen schlechten Leumund des Berlinerns zu unternehmen. Alte Berliner Gassenhauer und Chansons, von denen die meisten vor der Nazi-Ära entstanden sind, Lieder, die von den Comedian Harmonists oder Hildegard Knef popularisiert wurden, bekommen von den beiden bis zu den Fingerspitzen tätowierten Berufsprolls ein Update verpasst. Das Duo singt dabei dann so, wie man früher, als der Kaiser noch lebte, mal hier geredet haben mag, nur diese ganzen Schweinerockgitarren kannte man damals wahrscheinlich noch nicht. Los geht’s auf der Platte mit einer fußballstadiontauglichen Mitgrölversion von Claire Waldoffs „Es gibt nur ein Berlin“, eingesungen zusammen mit Frank Zander, und spätestens bei „Icke, dette, kieke mal“ hat man das Konzept des Albums vollends verstanden.

Endloses Eintreten für den echten deutschen Arbeiter

Solange es sich nicht um Sächsisch handelt, sind Mundarten nichts Schlimmes, allerdings dienen sie nun mal der Markierung des Eigenen, des in einer bestimmten Tradition Gewachsenen und zeigen Fremden, dass diese eher nicht dazugehören. Man kommt nicht umhin anzunehmen, dass die Zielgruppe von Haudegen deren Kampagne zur Ehrenrettung des Berlinerns auch in genau diesem Sinne verstehen wird. Die beiden aus Marzahn werden zwar nicht müde zu betonen, dass sie nicht die neuen Böhsen Onkelz seien, aber ihr ewiges Rumreiten auf echten und wahren Werten, die es zu erhalten gälte, und ihr endloses Eintreten für den echten deutschen Arbeiter, der ungefähr in jedem ihrer Videos irgendwann mal auftaucht, legt doch nahe, dass sie ähnliche Fans haben. Wenn man also demnächst irgendwo in Berlin als Schwabe oder Ghanaer von jemandem in einem Hoodie aus dem Haudegen-Fanshop oder gar in einer echten Haudegen-Grillschürze, die es dort ebenfalls zu erwerben gibt, zu hören bekommt: „Sprich gefälligst berlinerisch!“, kann man ruhig annehmen: Dit kommt von den zwee von Haudegen.

Andreas Hartmann

Haudegen: „Altberliner Melodien“ (Blut Schweiß & Tränen)