: Denkstoff für Debatten
In Stuttgart hat Hasko Weber seine Intendanz mit einem Premieren-Marathon von sechs Stücken angetreten. Durchaus erfolgreich setzte der neue Schauspielchef dabei inhaltliche Wegmarken
VON CLAUDIA GASS
Der giftgrüne Teppich, bedruckt mit dem die Spielzeit kennzeichnenden Logo der geballten Faust, der dem Premierenpublikum bei der Auftaktinszenierung des neuen Intendanten Hasko Weber den Weg ins Stuttgarter Schauspielhaus wies, deutete es an: Hier will sich einer einmischen, will kraftvoll und mit konzentrierter Energie inhaltliche Marken setzen.
Sechs Premieren an drei Tagen haben der Schauspielchef und sein Team auf die Bühne gewuchtet. Vordergründig betrachtet ist nicht alles anders als unter Webers Vorgänger Friedrich Schirmer. Hasko Weber hat das Stuttgarter Schauspiel zuvor als Hausregisseur geprägt. Volker Lösch, der neue Hausregisseur, hat ebenfalls schon hier inszeniert. Und dennoch war nach dem Premierenmarathon deutlich spürbar, dass ein anderer Wind am Staatsschauspiel weht, eine frische Brise bequeme Theaterbehaglichkeit aufmischt. Und das nicht nur, weil Löschs recht drastische „Dogville“-Inszenierung den lautstark geäußerten Protest einiger Premierenbesucher provozierte.
Weber hat seinen ersten Stuttgarter Spielplan inhaltlich und dramaturgisch nachhaltig unterfüttert. Von Goethes „Faust“, von dem das Spielzeit-Logo abgeleitet ist, führen thematische Linien zu den anderen Stücken und Projekten. Der Intendant will dem Publikum sichtlich Denkstoff anbieten. Mit der Theateradaption von Lars von Triers Film „Dogville“ und Martin Crimps „Sanft und grausam“, beides deutschsprachige Erstaufführungen, sowie Falk Richters „Electronic City“ stand am Startwochenende zeitgenössische Dramatik auf dem Programm, die radikale Beschreibungen der Gegenwart liefert. „Phaidra“, eine bei den Salzburger Festspielen uraufgeführte deutsch-ungarische Koproduktion, die ab 12. Oktober auch in den Berliner Sophiensælen zu sehen sein wird, basiert zwar auf einem antiken Mythos, verhandelt aber den auch aktuell virulenten Antagonismus von Zivilisation und Barbarei.
Der neue Intendant hat zum Auftakt seine Lesart von „Faust I“ beigesteuert. Im Terzett sprechen bei Weber drei Faustdarsteller den berühmten Anfangsmonolog, in dem der Gelehrte sein vergebliches Streben beklagt, herauszufinden, was die Welt im Innersten zusammenhält. Erst später wandeln sich zwei aus dem Trio zu Mephistophelesfiguren. Das böse Prinzip, der teuflische Verführer ist in Webers Inszenierung untrennbar Teil von Faust selbst. Derart klug durchdachte Regie-Ideen und sinnfällige Theaterbilder weist Webers stark gekürzte Fassung der Tragödie einige auf. Dennoch vermag seine Interpretation nicht überzeugend zu greifen und vor allem nicht zu ergreifen. Weber hat dem Text den hohen Ton, den hehren Nimbus des Kunstwerks ausgetrieben, setzt in der Szene ganz auf strenge Reduktion. Sebastian Röhrles Faust ist ein Jedermann, eher ein Mann ohne Eigenschaften als ein mit sich ringender Sinnsucher. Und weil diesem Faust die Komplexität fehlt, interessiert er letztlich auch nur in Maßen.
Als Regisseur, der das Theater an der Wirklichkeit andocken möchte, hat Volker Lösch vor allem mit seinen „Webern“ in Dresden für Aufsehen gesorgt. Auf einem leeren quadratischen, von einem darüber hängenden Kubus bedrohlich überschatteten Podest lässt Lösch die Passionsgeschichte der idealistischen Grace spielen, die in der kleinen, abgeschiedenen Stadt Dogville Zuflucht findet. Im Verbund mit seiner Ausstatterin Carola Reuther hat der Regisseur so eine eigenständige und schlüssige Raumgestaltung für seine Bühnenadaption des in einer kargen Brecht’schen Theaterästhetik gehaltenen Films gefunden. Waren es bei den „Webern“ Dresdener Arbeitslose, soll dieses Mal der ehemalige Direktor einer Stuttgarter Mercedes-Niederlassung, Thomas C. Zell, in der Rolle des „großen Mannes“ den authentischen Bezug zum wahren Leben herstellen. Doch der Versuch, dergestalt Realität in die Kunstwelt des Theaters zu transportieren, wirkt eher bemüht denn aufrüttelnd. Das eigentliche Manko der Inszenierung ist jedoch, dass es Lösch nicht gelingt, ein differenziertes Psychogramm der Bürgerschaft von Dogville zu entwickeln, auch wenn die Schauspieler zu Höchstform auflaufen. Als mit den Füßen Äpfel zerstampfendes, abwechselnd Volks- und Kirchenlieder anstimmendes, oft chorisch sprechendes Kollektiv von Spießbürgern stellt Lösch die Bewohnerschaft dar. Anders als im Film kristallisiert sich nicht glaubhaft heraus, wie sich die Einstellung der Dogviller gegenüber der selbstlosen Fremden nach und nach verändert bis hin zur gnadenlosen Ausbeutung ihrer Arbeitskraft und ihres Körpers.
„Ich wünschte sehr der Menge zu behagen“, sagt der Direktor im Vorspiel auf dem Theater in „Faust I“. Behagt hat es sicher nicht allen an diesem Premierenwochenende, und keine Inszenierung erwies sich als der große Wurf. Aber Diskussionsstoff hat es hinreichend gegeben. Unter dem neuen Intendanten Hasko Weber hat das Stuttgarter Schauspiel Kurs genommen, sich zum Ort der gesellschaftlichen Debatte zu entwickeln.
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