piwik no script img

Hier spricht deine Schultoilette

Jugendtheater Die Produktion „Hasen-Blues.Stopp.“ im Theater Strahl kritisiert auf lebensnahe Weise den Normalitätsbegriff

Nur vier Personen stehen auf der Bühne Halle Ostkreuz, alle in unterschiedlicher Funktion und unterschiedlichen Alters, trotzdem haben sie eins gemeinsam: Sie sind zerrissen zwischen ihrer eigenen Identität und der Auffassung anderer, wie sie wohl besser zu sein hätten. Die Handlung von „Hasen-Blues.Stopp.“, verfasst von der Autorin Uta Bierbaum, spielt sich in einer Biostunde ab – Schulalltag also, mit vielen Gerüchten und Vorurteilen. Sie treibt klug auf die Spitze, was eigentlich längst klar ist: wie wenig die Gesellschaft noch immer auf Personen eingestellt ist, die irgendwie aus der Reihe tanzen.

Mittendrin der/die SchülerIn Rox, deren/dessen Intersexualität allen Beteiligten mehr zu schaffen macht als ihr selbst. Denn Rox hat eigentlich gar kein Problem damit – diese Entschlossenheit wird aber ordentlich geprüft. Überall mangelt es an Sensibilität: Die Referendarin Lila, frisch aus der Uni, die sich ohnehin der Verantwortung und Autorität nicht gewachsen sieht, bemerkt in einem Nebensatz über Chromosomen flapsig: „Die hängen immer so paarweise miteinander ab.“

Auch die zum Leben erwachten Männlein-Weiblein-Toilettentüren sind unbarmherzig: Sie verriegeln Rox den Zugang, äußern damit ihr/sein sprechendes Unterbewusstsein. Eine bemerkt taktlos: „Willst du mich verarschen, Sweetheart? Beides geht nicht. Klär erst mal ab, was bei dir da unten nicht stimmt!“ Und Rox muss draußen pinkeln.

Auch der/die SchulpsychologIn zwingt Rox ein weiteres Gespräch auf. Ob Rox schon mal über eine Neovagina nachgedacht hat? Ob Rox Suizidgedanken oder schon mal einen Amoklauf geplant hat?

Doch das Stück beklagt nicht nur fehlende Sensibilität, es deutet auch Lösungen an. Sein Motor liegt in der Charakterentwicklung, die die anfängliche Lehrer-Schüler-Konstruktion aufbricht. Lila bleibt nicht die eingeschüchterte Uniabsolventin, sie taut in ihrer Rolle als Autoritätsperson auf und wird zu einer kompetenten Vertrauten der SchülerInnen. Hinterfragt selbst ihren Biolehrplan. Die Mitschülerin Fee gesteht, dass sie ehrlich an Rox interessiert ist. In seinem Ansatz die „Norm“ infrage zu stellen überzeugt „Hasen-Blues.Stopp.“ vor allem durch einen illusionsfreien Blick auf die Realität.

Das wird umso eindrücklicher, als die Schauspielenden die imaginäre Mauer einer Frontalinszenierung zwischen Bühne und Zuschauerraum abbauen. Die Charaktere nehmen kein Blatt vor den Mund, benutzen Alltagssprache. Nicht selten sind die Dialoge herausfordernd und provokant.

So provokant, dass das jugendliche Publikum teils unangenehm berührt aufstöhnt. Dass Aussagen an der Privatsphäre kratzen, zeugt in erster Linie vom Scharfsinn des Stücks. Nicht zuletzt deswegen bleibt es spannend bis zum Schluss. Wenn Rox verzweifelt in den Raum ruft: „Alle haben gesagt, ich sei nicht normal. Das jedenfalls habe ich verstanden!“, geht der Satz unter die Haut und begleitet einen bis nach Hause.

Katharina Schantz

Am 15./16. 12. 2016, 14. bis 17. 2. 17 und im März, April, Mai

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen