DAUMENKINO
„Tannöd“

Und ewig geifern die Tannenwälder. Die Erzählweise von Andrea Maria Schenkels Überraschungsbestseller „Tannöd“ war der Regisseurin Bettina Oberli wohl zu distanziert, der Rahmen zu eng. Jedenfalls hat sie in ihrer Verfilmung ziemlich das Gegenteil gemacht. Wie das Buch ist ihr Film um Zeugenaussagen konstruiert – aber drumherum wabert bei Oberli der Nebel, da wird im Off um Erlösung gebetet, da wird abwechselnd verdächtig gewispert und bedeutsam geschwiegen, da friert im Wald die hölzerne Jesusfigur am Kreuz. Ein Mord an einer ganzen Familie ist geschehen, niemand kennt den Täter – und Bettina Oberli sowie ihr Kameramann Stéphane Kuthy produzieren Atmosphäre, Atmosphäre, Atmosphäre. Jede Menge Dräuendes und Drängendes ist in die Bilder gepackt.

Wen will Bettina Oberli da immer so beeindrucken? Man weiß es nicht. Was sie sonst im Sinn hatte, hat man schnell raus: statt den Kriminalfall zu erzählen, das Tableau einer Dorfgemeinschaft in voremanzipierter Zeit zu entwerfen. Aber ihr Blick ist im Grunde arrogant. Als reichte eine städtische Entrüstung über die Dumpfheit, Triebhaftigkeit und den Patriarchalismus des Landlebens für einen ganzen Kinofilm. Das Verhängnis lauert hier hinter jedem Heuhaufen.

Für einen wirklich ethnologischen Blick ist das alles zu ungenau, für einen wirklichen Thriller fehlt die Dramaturgie. Vor allem: Man kennt fast jede Einstellung aus dem „Tatort“, wenn es die Kommissare mal aufs Land verschlagen hat und Lokalkolorit eingefangen werden soll. Dann knackt es unheimlich im Gebüsch. Im Wirtshaus trinken rotgesichtige Männer Schnaps. Am Küchentisch wird erst gebetet, dann Eintopf gegessen. Auf der Dorfstraße gucken alte Frauen skeptisch Neuankömmlingen hinterher. Wie ein Best-of aller Provinzklischees wirken diese Szenen. Und die Kamera, die den Figuren ständig auf die Pelle rückt, will alles Gerede über Schuld und Sünde penetrant entlarven. Schon nach kurzer Zeit fühlt man sich als Zuschauer in sozialkritischer Geiselhaft.

Schade um die guten Schauspielerinnen: Julia Jentsch muss als junge Frau, die von außen ins Dorf kommt und als Katalysator der Selbstdarstellungen seiner Bewohner fungiert, vor allem rehäugig gucken. Monica Bleibtreu in einer ihrer letzten Kinorollen gibt eine Art Kassandra auf der Alm. Ganz schlimm hat es Brigitte Hobmeier als zentrale Projektionsfigur aller sexuellen Gelüste erwischt; hexisch wehen ihre roten Haare im Kuhstall.

Am besten wäre es, man würde „Tannöd“ gleich noch einmal verfilmen. Diesmal mit besser dosierter Atmosphäre.

DIRK KNIPPHALS

■ „Tannöd“. Von Bettina Oberli. Mit Julia Jentsch, Monica Bleibtreu, Volker Bruch u. a. Deutschland/Schweiz 2009, 90 Min.