Eine Lanze für Zagreb

WIEN taz ■ Kaum hatte Carla del Ponte der kroatischen Regierung volle Kooperation mit dem UNO-Kriegsverbrechertribunal bescheinigt, gab auch Österreichs Außenministerin Ursula Plassnik am Sonntag ihr Mauern auf und signalisierte grünes Licht für den Verhandlungsbeginn mit den Türken. Bundeskanzler Wolfgang Schüssel machte sich augenblicklich daran, die Veränderung von zwei Halbsätzen als großen Erfolg umzudeuten. Einen direkten Zusammenhang seiner sturen Haltung mit dem Lobbying für Kroatien bestritt er.

In Zagreb scheint man tatsächlich gegen die Netzwerke, die mutmaßliche Kriegsverbrecher decken, vorgehen zu wollen. Dennoch ist das plötzliche Vorschussvertrauen der Chefanklägerin genauso wenig ein Zufall wie das fast synchrone Einlenken Schüssels. Die ÖVP hatte schon 1991 auf die frühzeitige Anerkennung des katholischen Kroatiens gedrängt. Und heute ist Österreich mit mehr als zwei Milliarden Euro der größte Direktinvestor im Fast-Nachbarland. Rund 450 Firmen, die vor allem in die Tourismuswirtschaft, in den Banken- und Versicherungssektor Geld gesteckt haben, wünschen sich aber größere Rechtssicherheit und weniger Korruption. Die strengen Regeln der EU sollen da Abhilfe schaffen. An sich kein unbilliger Wunsch. Aber warum spielt man nicht mit offenen Karten?

Ralf Leonhard