Die Wahrheit: Perfect CV
Wenn die Kleinen ihre Kita einzig zur Vorbereitung auf die Unternehmenswelt nutzen wollen, kann das schon mal einen Frühburnout einleiten.
S ein erstes Wort war nicht Mama. Nicht Papa. Nicht Auto. Sein erstes Wort war „Preis-Leistungs-Verhältnis“. War ja schön gewesen im Uterus, Mutter Nichtraucherin, immer gewesen, kein Alkohol während der Schwangerschaft, klassische Musik, das ganze Programm. Eins-a-Fruchtwasser, fünf von fünf Sternen dafür. Immer wieder gerne. Aber wenn man weiterkommen will, muss man die Komfortzone halt auch mal verlassen.
Also: problemlose Geburt hingelegt, mit dem Kopf voran, als hätte er nie was anderes gemacht. Dann direkt mit lebenslangem Lernen angefangen. Erster Job: Trainee als Säugling bei Familie Sperling, erste Erfahrungen in den Bereichen Stoffwechsel und Personalführung. 1990 bis 1993 dann Kindergartenkind in der Erdbeergruppe, evangelischer Kindergarten Hannover-Bothfeld. Zunächst: angenehme Arbeitsatmosphäre, flache Hierarchien. Ein junger Allrounder war er seinerzeit. Erwerb grafischer Grundkenntnisse, Erstellen von Dinosaurierbildern, später auch Autos und Kriegsschiffe. Erstellung dreidimensionaler Modelle in Lego Duplo und Lego. Opinionleader im Sandkasten, damals viel mit zielführenden Tools wie Schäufelchen gearbeitet.
Dann: immer wieder Ärger mit den Erzieherinnen, weil er nicht eingesehen hat, die Low-Performer mit durchzuziehen. In der Zeit, bis die sich einen Schuh zugebunden hatten, hätte er schon im Zoo sein können. Das Sozialverhalten der Paviane schien ihm interessant. Als er sah, wie der starke Pavian dem schwachen Pavian das Essen zwischen den Zähnen heraus klaute, gefiel ihm das. Er hätte wieder Mecker dafür bekommen. Sein Consulting, mit dem Ziel, die Kita in einen Ort effektiver Vorbereitung auf die Unternehmenswelt zu machen, scheiterte an verkrusteten Strukturen und dem Unwillen der linksliberalen, durchweg weiblichen Führungsriege.
Er selbst hatte das Schuhezubinden an Anna-Lena ausgesourct, man muss auch delegieren können. Außerdem: Sie wollte keine Gegenleistung. Dafür kann man es nicht selber machen. Die Erzieherinnen nervten immer mehr. Was an dem Satz „Ich mag keinen Fencheltee“ hatten die eigentlich nicht verstanden? Langsam hatte er es satt, hier nur mit Amateuren zusammenzuarbeiten, es wurde Zeit für die Einschulung. Leistung muss sich schließlich lohnen. Erste Klasse war enttäuschend, es gab keine Zensuren. Aber wenigstens ab jetzt jedes Jahr eine Beförderung, wenn man sich nicht ganz blöd anstellte.
Als dann endlich Zensuren, also ein vernünftiges Controlling der Schulleistung eingeführt wurden, stellte er fest, dass er nicht überall zur Spitzengruppe gehörte. Seine Kleines-Einmaleins-Skills mussten optimiert werden. So würde das nichts mit der Uni in den USA, er brauchte Nachhilfe. Ein „Sehr gut“ in Rechen ist schließlich mehr als ein Nice-to-have. Zweimal die Woche Nachhilfe, dazu Excel und Überstunden im Offenen Ganztag. Erster Burnout mit acht. Obwohl er der Beste in der Kinder-Yoga-Gruppe war. Alles richtig gemacht!
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