Lichtenberger wollen ohne rechten Stadtrat arbeiten

POLITISCHE KULTUR Mit einem Geschäftsordnungstrick soll das Bezirksamt arbeitsfähig werden, auch wenn der AfD-Kandidat bei der Wahl durchfällt

Nach der Wahl vom 18. September hat die AfD in sieben Bezirken Anrecht auf einen Stadtratsposten. Gewählt sind bisher die Kandidaten in Treptow-Köpenick, Reinickendorf, Marzahn-Hellersdorf und Spandau – es fehlen noch Neukölln, Lichtenberg, Pankow.

In letzterem Bezirk hoffen die Linken, der AfD bald das Vorschlagsrecht entziehen zu können. Die Bezirksaufsicht des Senats bestätigt auf Anfrage der taz, ein BVV-Vorsteher könne in einer „atypischen Situation“ entscheiden, ob die AfD das Vorschlagsrecht bei erneuter Nominierung des bisherigen Kandidaten verliert. Aber die bisherigen fünf Wahlgänge seien noch nicht atypisch genug. (sum)

Wenn am Donnerstag im zweiten Anlauf in der Lichtenberger Bezirksverordnetenversammlung (BVV) ein Bezirksamt gewählt werden sollte, wird dieses seine Arbeit wahrscheinlich ohne einen AfD-Vertreter aufnehmen. Die AfD wurde in Lichtenberg mit 19 Prozent drittstärkste Fraktion, ihr steht ein Stadtratsposten zu. Doch der Ältestenrat im Bezirksparlament hat sich einen Trick ausgedacht, der es möglich machen soll, dass das Bezirksamt auch arbeitsfähig ist, wenn ein Stadtrat nicht gewählt werden sollte.

Die AfD hat mit dem umstrittenen Statistikdozenten Wolfgang Hebold einen Rechtsaußenmann nominiert, dem Vertreter aller anderen Fraktionen ihre Stimme verweigern wollen. Hebold hat in diesem Jahr zwei Lehraufträge und eine Anstellung an einer Berliner Hochschule verloren, als Rassismusvorwürfe gegen ihn aufkamen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn wegen Volksverhetzung.

Laut ihrem Stimmenanteil darf die AfD ihren Stadtrat an dritter Stelle zur Abstimmung stellen. Das heißt, zuerst stimmt die BVV über den Bürgermeisterkandidaten der Linken und anschließend über eine von der SPD nominierte Stadträtin ab. An dritter Stelle darf die AfD ihren Kandidaten zur Abstimmung stellen. Normalerweise stünden der AfD dafür beliebig viele Wahlgänge zu: Würde ihr Stadtrat nicht gewählt, könnten auch die Wahlgänge für die beiden folgenden Stadträte, die CDU und Linke vorschlagen dürfen, nicht stattfinden. Ein Bezirksamt würde nicht zustande kommen, weil das mindestens drei Mitglieder haben muss.

Daher haben die Lichtenberger ihre Geschäftsordnung geändert, erklärt SPD-Fraktionschef Kevin Hönicke der taz. „Wir haben vereinbart, dass nach zwei misslungenen Wahlakten für einen Stadtrat erst einmal die anderen Stadträte gewählt werden. Die Fraktion, deren Kandidat durchgefallen ist, kommt erst ganz zum Schluss wieder zum Zug.“ Also: Wird Hebold nicht gewählt, wofür viel spricht, können trotzdem die beiden anderen Bezirksamtsmitglieder gewählt werden. Das Bezirksamt hätte dann vier Mitglieder und wäre arbeitsfähig.

Anschließend kann die AfD erneut KandidatInnen zur Wahl stellen, bis die gewählt werden. Oder auch nicht. Grünen-Fraktionschefin Camilla Schuler sagt dazu: „SPD, Linke, CDU und wir werden Hebold nicht wählen. Sollte die AfD jemand anderen nominieren, müssen wir neu entscheiden.“

Die Änderung der Geschäftsordnung sei mit den Stimmen aller Fraktionen zustande gekommen, auch mit denen der AfD, so Hönicke. Haben die politisch unerfahrenen Rechtspopulisten die Sprengkraft dieser Regel nicht erkannt und geschlafen? Gut möglich, sagt Hönicke. „Aber möglich wäre auch, dass sie gar keinen Stadtrat wählen lassen wollen, sondern dass ihnen die öffentliche Aufmerksamkeit über die Nichtwahl lieber ist.“

Als Aufgabengebiet im Bezirksamt haben die anderen Parteien der AfD übrigens die „regionalisierten Ordnungsangelegenheiten“ zugedacht – also ein gestutztes Ordnungsamt. Sollte es tatsächlich irgendwann einen AfD-Stadtrat geben, müsste dieser Autowracks oder tote Katzen von Lichtenbergs Straßen räumen lassen. Eine Aufgabe, die andere Stadträte mit erledigen können, wenn das Bezirksamt wie erwartet kleiner ausfällt.

Die Lichtenberger AfD gilt selbst für AfD-Maßstäbe als extrem rechts. Neben Hebold kommt auch der Abgeordnete Kay Nerstheimer aus Lichtenberg, der als Einzelverordneter im Abgeordnetenhaus sitzt, weil ihn die AfD-Fraktion nicht haben wollte.

Das ganze Szenario greift natürlich nur, wenn Bürgermeister Michael Grunst am Donnerstag in der BVV eine Mehrheit findet. Die Linke hatte ihn nominiert, nachdem ihre ursprüngliche Bürgermeisterkandidatin Evrim Sommer in zwei Wahlgängen durchgefallen war.

Marina Mai