VW-Skandal: Brüssel geht gegen Berlin vor

Industrie Die EU-Kommission wirft Deutschland und sechs weiteren Staaten vor, europäisches Recht verletzt zu haben. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt weist die Vorhaltungen zurück

„Die Kommission war am Kartell des Schweigens beteiligt“

Herbert Behrens, Die Linke

BERLIN taz | Die EU-Kommission leitet im VW-Abgasskandal juristische Schritte gegen Deutschland und sechs weitere Mitgliedstaaten der Europäischen Union ein. Alle diese Staaten haben nach Ansicht der Brüsseler Behörde die EU-Typgenehmigungsvorschriften missachtet. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) wies die Vorwürfe am Donnerstag zurück. VW hatte im September vorigen Jahres eingeräumt, in den USA illegale Abschalteinrichtungen bei der Abgasreinigung von Dieselautos eingesetzt zu haben; in Europa hält der Wolfsburger Konzern sein Verhalten jedoch für legal.

„Für die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften sind in erster Linie die Automobilhersteller verantwortlich“, sagte die EU-Binnenmarktkommissarin Elżbieta Bieńkowska. „Die nationalen Behörden müssen jedoch darüber wachen, dass die Automobilhersteller die Rechtsvorschriften auch tatsächlich einhalten.“ Gegen Tschechien, Litauen und Griechenland geht die EU-Kommission nun vor, weil diese Staaten bislang keine Sanktionssysteme für den Fall eingeführt haben, dass Autokonzerne bei der Typgenehmigung von Fahrzeugen gegen Gesetze verstoßen, beispielsweise durch die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkungsweise der Abgasreinigung reduzieren.

Härter ist das Vorgehen der EU-Kommission gegen Deutschland, Luxemburg, Spanien und Großbritannien. Gegen diese Länder, die Typgenehmigungen für VW-Fahrzeuge für den europäischen Markt ausstellten, leitet die Brüsseler Behörde ein förmliches Vertragsverletzungsverfahren ein, „weil sie ihre nationalen Bestimmungen über Sanktionen nicht angewendet haben, obwohl Volkswagen verbotene Abschaltprogramme verwendete“.

Zudem geht Brüssel gegen Deutschland und Großbritannien vor, weil sich die Länder gegenüber der EU-Kommission weigerten, „alle in ihren nationalen Untersuchungen gesammelten Informationen offenzulegen, die potenzielle Unregelmäßigkeiten bei den Emissionen von Stickoxid bei Fahrzeugen des Volkswagenkonzerns und anderer Hersteller in ihrem Hoheitsgebiet betreffen“.

Bundesverkehrsminister Dobrindt wies die Brüsseler Vorwürfe zurück. „Deutschland hat als einziges europäisches Land nach Vorlage seines Untersuchungsberichts einen umfassenden Maßnahmenkatalog mit Sofortmaßnahmen zur gezielten Vermeidung von unzulässigen Abschalteinrichtungen umgesetzt“, sagte ein Sprecher des Bundesverkehrsministeriums.

Volkswagen müsse den rechtswidrigen Zustand bei der Abgasreinigung beseitigen. Darüber hinaus sei mit allen Autoherstellern mit Typzulassung in Deutschland, bei denen es Zweifel gab, ein freiwilliger Rückruf vereinbart worden.

Damit spielt Dobrindt die europäische Karte aus: Denn auch Fahrzeuge französischer und italienischer Hersteller waren bei Tests auffällig; harte Reaktionen der dortigen Behörden blieben aber bislang aus.

Die Opposition im Bundestag kritisierte Dobrindt. „Statt Transparenz und Aufklärung zu betreiben, will er am bisherigen System von Lug und Trug nichts grundlegend ändern“, sagte Grünen-Fraktionsvize Oliver Krischer.

Herbert Behrens (Linke), Chef des Abgas-Untersuchungsausschusses: „Die EU-Kommission war wie die Automobilindustrie und die Bundesregierung am Kartell des Schweigens über Abschalteinrichtungen beteiligt, von daher ist ihr Vorgehen im Abgasskandal ähnlich scheinheilig wie das der Bundesregierung.“ Richard Rother

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