Große Brexit-Koalition im britischen Parlament

GrossbritannienRiesige Mehrheit im Unterhaus für den Regierungszeitplan zum EU-Austritt

Die Parlaments­abstimmung zwang jeden Abgeordneten, Farbe zu bekennen

BERLIN taz | Noch während Großbritanniens oberstes Gericht darüber berät, ob die Einleitung des britischen EU-Austritts einem Parlamentsvorbehalt untersteht, hat das britische Parlament dem Vorhaben bereits grundsätzlich zugestimmt. Mit 461 gegen 89 Stimmen beschlossen die Abgeordneten im Unterhaus am Mittwochabend, „die im Referendum vom 23. Juni ausgedrückten Wünsche des Vereinigten Königreic­hs zu respektieren und die Regierung dazu aufzurufen, bis zum 31. März 2017 Artikel 50 zu aktivieren“. Artikel 50 ist der Artikel der EU-Verträge, der die Austrittsprozedur eines Mitgliedstaats regelt: wer die EU verlassen will, „aktiviert“ ihn und leitet damit zweijährige Austrittsverhandlungen ein. Premierministerin Theresa May hatte vor zwei Monaten angekündigt, dies spätestens Ende März 2017 zu tun.

Eigentlich hatte die Regierung nicht vor, vorher das Parlament einzuschalten, weil sie die Brexit-Volksabstimmung vom Juni für eine ausreichende Grundlage hielt. Das High Court in London hatte dem im November widersprochen. Über eine Berufung der Regierung gegen dieses Urteil verhandelt seit Montag das oberste Gericht.

Indem das Unterhaus jetzt schon so deutlich die Einleitung des Brexit nach dem Zeitplan der Regierung gutheißt, verliert dieser Streit viel von seiner Substanz. Gegenstandslos ist er nicht, denn juristisch bleibt nach wie vor zu klären, ob das Parlament oder die Regierung Artikel 50 aktiviert. Aber das ist jetzt vermutlich egal.

Die Parlamentsabstimmung war ein kluger Schachzug der Regierung May, die jeden Abgeordneten zwang, Farbe zu bekennen. Eigentlich stand bloß ein Antrag der Labour-Opposition auf der Tagesordnung, wonach die Regierung vor der Aktivierung des Artikel 50 ihre Verhandlungsposition öffentlich machen soll. Die regierenden Konservativen brachten dann ihren Ergänzungsantrag ein, das Parlament gleich über diese Aktivierung mit abstimmen zu lassen. Die beiden Parteien einigten sich darauf, beide Anträge passieren zu lassen – so kam der Labour-Antrag mit 448 gegen 75 Stimmen durch, der der Tories mit 461 zu 89.

Die 51 Abgeordneten der schottischen SNP-Nationalisten verweigerten sich dieser improvisierten großen Brexit-­Koa­lition geschlossen, ebenso 23 Labour-Abgeordnete und ein einziger Konservativer, der europhile Exfinanzminister Kenneth Clarke. Die als besonders EU-freundlich geltenden Liberaldemokraten spalteten sich: vier dafür, fünf dagegen.

Beim EU-Referendum im Juni hatten 52 Prozent für den Brexit gestimmt. Berechnungen zufolge hatte es in 428 der 650 Wahlkreise des Landes eine Brexit-Mehrheit gegeben.

Dominic Johnson