Strafe ja, aber bitte noch nicht jetzt!

Doping Beim Treffen des Executive Boards vom IOC in Lausanne wurden die aktuellen Zahlen der Nachtests vorgestellt. Russland gerät dabei immer stärker unter Druck. Von einem Entzug der Bob- und Skeleton-WM 2017 in Sotschi will man aber nichts wissen

Wozu die Eile, Hauptsache, die Nägel sind schön – Jelena Issinbajewa, neue Aufsichtsratvorsitzende der Antidopingagentur Rusada Foto: ap

aus Lausanne Tom Mustroph

Eigentlich wollte das Executive Board des IOC sich ganz im Licht von Rio sonnen. Die weltweit umfangreichste Liveberichterstattung aller Zeiten bot das Olympiaspektakel, wurde stolz bilanziert. Rio konnte sich über 21,66 Milliarden Dollar direkter und indirekter Investments freuen, hieß es. Auch die 100 Millionen Dollar Gewinn des Zimmervermittlers Airbnb nannte das IOC als positive Zahl.

Immerhin scheint sich beim IOC herumgesprochen zu haben, dass das Konsumentenvolk nur dann zu rauschhafter Beteiligung zu gewinnen ist, wenn es stärker an fairen Wettbewerb glauben kann. Daher war der zweite Tage des Treffens des Executive Boards der Eindämmung von Doping gewidmet. Richard Budgett, medizinischer Direktor des IOC, zählte zusammen, dass die Nachtests von Urinproben der Spiele von Peking 2008 und London 2012 insgesamt 107 positive Proben brachten. 54 Olympiateilnehmer von Peking und 34 von London wurden sanktioniert, Medaillen neu vergeben. 107 positive Tests bei insgesamt nur 1.545 analysierten Proben ergeben auch eine überdurchschnittliche Trefferquote von knapp 7 %; üblich sind etwa 1 %.

Budgett begründete das Ergebnis mit besseren Tests für anabole Steroide. „Neuere Testmethoden haben das Nachweisfenster für diese Substanzen von nur wenigen Tagen auf mehrere Wochen erhöht“, sagte er. Damit können jetzt auch Mikrodosierungen besser erfasst werden. Betroffen waren allerdings nur Klassiker des Anabolika-Dopings wie Stanozolol und Turinabol. Designersteroide nach dem Muster des berühmt-berüchtigten THG des Balco-Labors von Victor Conte, das – auch – für die Dominanz der US-Sprinter rund um die Jahrhundertwende verantwortlich war, waren nicht darunter. Auch Sportler westlicher Na­tio­nen wurden kaum erwischt. Nur die Radprofis Stefan Schumacher und Davide Rebellin fielen mit der damals neuen Epo-Variante CERA auf. Sonst wird die Dopingkartei vor allem von Sportlern aus Russland (16 Fälle aus Peking, 11 aus London) und anderen Ex-Sowjetrepubliken (22 und 14) gefüllt. Bedeutet das, dass im Osten mehr gedopt wird? Nicht zwangsläufig. Die Teststatistik lässt lediglich die Aussage zu, dass dort mehr auf die klassischen Anabolika gesetzt wird. Wer raffinierter vorgeht, hat weiter gute Chancen, unerkannt zu bleiben.

Auf Epo und Wachstumshormone, zwei weiteren Klassikern des Dopings, wurde noch nicht nachgetestet. Budgett will hier bessere Verfahren abwarten, um auch hier Mikrodosen-Doping nachweisen zu können. Er erwartet dann „zahlreiche Treffer“.

Das weist auf einen Mentalitätswandel hin. Sportfunktionäre reagieren nicht mehr verschämt auf positive Fälle, sondern freuen sich, wenn Betrüger gefasst werden.

Bei den bisherigen Nachtests von Sotschi – ausnahmslos bei Proben russischer Athleten vorgenommen – kamen laut IOC keine positiven Analysen heraus. Das lässt zwei Deutungen zu: Die Betreffenden waren alle sauber oder aber das – auch mit Geheimdiensthilfe durchgeführte – Säuberungsprogramm der Urinröhrchen war einfach super.

Hier muss man auf den zweiten Teil des Berichts von Richard McLaren warten, der für heute erwartet wird. McLaren will vor allem nennen, welche russischen Sportler vom Vertuschungssystem profitierten.

Vorsorglich kündigte das IOC schon verschärfte Sanktionen an. Es empfahl den einzelnen Weltsportverbänden, bei systematischen Verstößen ganze nationale Verbände von Wettkämpfen auszuschließen. Und es erinnerte an seine schon im Sommer gemachte Empfehlung, Ländern die Austragung von internationalen Events zu verwehren. Bei der Bob- und Skeleton-WM in Sotschi 2017 ruderte das IOC aber wieder zurück. Die Empfehlung betreffe keine schon vergebenen Events, sondern nur zukünftige oder solche, die ohne großen Kostenaufwand an andere Ausrichter vergeben werden könnten, hieß es. Der angekündigte Boykott der WM durch den US-Skeletonverband erhielt also keine Rückendeckung aus Lausanne.

Gut, die neuen Erkenntnisse von McLaren muss man auch erst abwarten. Finanziert wurde die Folgeuntersuchung übrigens vom IOC. Im Vergleich zu den Einnahmen von Olympia handelt es sich hier aber nur um Peanuts.